Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)
Augen.
»Verdammt!«, fluchte er. Das Bild verschwamm vor seinen Augen. Warum war John nicht einfach davongelaufen und hatte Pierre mitgenommen? Warum?
Schüchtern stand Yvette vor ihrem Vater, um ihre Strafe zu empfangen. Tröstlich war nur, dass Jeannette bei ihr war.
»Zwei Dinge fordere ich von dir«, begann Frederic mit energischer Stimme und sah Yvette von seinem Sessel aus eindringlich an.
Es gefiel ihm nicht, wie verschüchtert sie vor ihm stand. Dabei hatte er ihr den Wagemut selbst ausgetrieben, der ihm so gefiel. Wie dem auch sei, auf jeden Fall hatte sie Schlimmeres angestellt als John und Paul im selben Alter, und zu keiner Zeit geahnt, welche Gefahren ihr gedroht hätten, hätte er nicht eingegriffen.
»Erstens fordere ich dein Ehrenwort, dass sich das, was vergangene Nacht geschehen ist, nie wiederholt. Außerdem dürft ihr das Haus und das Grundstück nicht ohne meine Erlaubnis oder die eurer Gouvernante verlassen.«
»Ja, Sir.« Yvette sah ihn an. Offenbar war die wilde Wut verraucht, und prompt wurde sie mutiger. »Es wird nicht wieder vorkommen«, versprach sie.
Frederic nickte. »Ich will keine leeren Versprechungen. Ihr sollt zu eurem Wort stehen – und zwar nicht nur aus Angst, dass ich euch ertappen könnte. Ich möchte mich in Zukunft auf euch verlassen können.«
»Ich schwöre bei meinem Leben, dass ich nie wieder so etwas Böses tue.«
Er lächelte zum ersten Mal, und Yvette überlegte, was daran so lustig war. »Ich glaube dir.«
»Und zweitens?«, fragte sie bang.
»Zweitens möchte ich, dass ihr euch bei Miss Ryan entschuldigt. Stellt euch nur vor, wie sie sich aufgeregt hätte, wenn sie in euer Zimmer gegangen wäre und leere Betten vorgefunden hätte. Außerdem habe ich sie irrtümlich beschuldigt. Das hat sie nicht verdient.«
»Ist das alles?«, fragte Yvette, weil sie sicher war, dass ihnen das Schlimmste noch bevorstand.
»Ist das denn nicht genug?«
»Doch, aber … wolltest du mich nicht …?«
»Nein, Yvette«, unterbrach er sie und zog die Brauen in die Höhe. »So wütend ich auch war, als ich dich in dieser Spielhölle gefunden habe, hatte ich doch nie die Absicht, dich zu schlagen. Wenn sich das allerdings wiederholen sollte, werde ich nicht mehr so großmütig sein.«
»Also … also werde ich nicht bestraft?«
»Das habe ich nicht gesagt. Nach einigem Nachdenken bin ich jedoch zu dem Schluss gekommen, dass mein Erscheinen im Dulcie’s schon Strafe genug war.«
Yvette runzelte die Stirn. »Das verstehe ich nicht.«
»Dann will ich es dir erklären.« Er griff in eine Schublade seines Schreibtischs und zog den Beutel hervor, in den das Mädchen keine zwölf Stunden zuvor einige Goldmünzen und Dollarnoten gestopft hatte.
Yvette war sichtlich erleichtert, als der Beutel vor ihrer Nase baumelte, und berechnete die Summe, die sich darin befinden musste.
»Es ist mehr Geld darin als deine zwanzig Dollar«, sagte er, als ob er ihre Gedanken gelesen hätte. »Fast fünf Mal so viel, wenn George richtig gezählt hat.«
»Wieso George?«
»Er hat deinen Gewinn eingesammelt, und wenn du nicht so unartig gewesen wärst, müsste ich dich eigentlich beglückwünschen.« Dann wurde seine Stimme hart. »Allerdings spielt keine meiner Töchter im Saloon, und schon gar nicht mit verwahrlosten Matrosen – ist das klar?«
»Ja, Vater«, murmelte sie kleinlaut. Der Augenblick der Erleichterung war dahin und die Angst wieder da.
»Am besten lernt man seine Lektionen auf die harte Art. In deinem Fall, liebe Tochter, bedeutet das, dass du diesen Beutel verlierst.«
»Aber …«
»Ich werde das Geld den Armen spenden.«
»Nur den Gewinn, Papa! Bitte! Ich verspreche auch, dass ich nie mehr …«
»Nein, mein Kind, alles. Vergangene Nacht hat dich nur das Glück vor einem weit größeren Verlust bewahrt. Ist dir eigentlich klar, was diese Männer mit dir gemacht hätten, wenn du weiter gewonnen hättest? Du hattest Angst vor meinen Schlägen, aber diese Männer hätten dir weit Schlimmeres angetan. Sie hätten dich verfolgt und sich dich vorgenommen.«
Yvette schauderte. »Ja, Vater«, murmelte sie fast unhörbar.
Frederic sah seine andere Tochter an. »Und was machen wir mit dir, Jeannette? Hat ein Teil des Geldes dir gehört?«
»Ja, Papa. Die Hälfte. Yvette hat versprochen, dass wir den Gewinn teilen.«
»Dann wirst du jetzt genauso bestraft. So etwas darf nie wieder passieren.«
»Nein, nie mehr. Ich verspreche es.«
Dann sahen sie zu, wie er die unterste
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