Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)
einfacher, wenn du auf Charmantes bliebest?«
»Einfacher für dich. Aber ich will an diesem … diesem Theater nicht länger mitwirken. Du bindest die Kinder nicht an dich, indem du ihnen gibst, was sie brauchen, sondern indem du es ihnen vorenthältst.« Frederic schwieg. »Wie ich sehe, lautet deine Antwort › nein ‹ . Ich wusste es. Ich komme zu dir, um einzufordern, was mir gehört, und bringe den Mut auf, den du mir nicht zutraust – und trotzdem lehnst du ab!« Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich zum Gehen.
»Nicht alles, was du forderst, gehört auch dir«, rief Frederic ihm nach. Und dann sagte er zum leeren Türrahmen: »Ich kann meine Töchter nicht hergeben … jedenfalls nicht für immer.«
»Ich höre, John.« Paul war verärgert, als sein Bruder sich schweigend auf den Sessel setzte. »Du hast mich sicher nicht gerufen, damit ich dir beim Hinsetzen zusehe …«
»Nimm Platz, Paul«, unterbrach ihn John mit mildem Lächeln. »Ich habe einiges mit dir zu besprechen. Ich suche keinen Streit, sondern möchte in Ruhe mit dir reden.«
Paul fügte sich. »Und worum geht es?«
»Ich möchte mit dir über Charmaine reden.«
Paul wurde vorsichtig. »Was ist mit ihr?«
»Sie ist eine wirklich anständige Frau. Ein feiner Mensch.«
»Mir musst du das nicht sagen. Ich kannte sie lange vor dir, und ich habe dir genau das auch gesagt. Aber du hast lange gebraucht, um es zu begreifen und sie nicht ständig wegen ihrer Tugendhaftigkeit zu hänseln.«
»Immerhin habe ich es inzwischen geschafft. Ich gebe zu, dass ich Charmaine zu Beginn unterschätzt habe. Und du musst zugeben, dass Frauen wie sie selten sind.«
»Das will ich gar nicht bestreiten.« Pauls Brauen hoben sich. »Aber wohin führt das alles?«
»Hast du schon einmal daran gedacht, sie zu heiraten?«
»Zu heiraten?« Paul verschluckte sich beinahe. »Willst du mir das etwa vorschlagen?«
»Ja, wenn du es genau wissen willst. Ist der Gedanke denn so abwegig?«
Paul stützte das Kinn in die Hand und starrte John voller Misstrauen an. »Was soll das alles, John? Was steckt wirklich dahinter?«
»Ich schätze Charmaine, und ich will nicht, dass man sie verletzt.«
»Und du glaubst, dass eine Hochzeit das verhindert?«
»Genau das. Wie du weißt, liebt sie dich, und zwar tiefer, als du es für möglich hältst. In der Nacht, als ich zurückkam, hat sie dich mit aller Leidenschaft geküsst. Wie sehr ihr Herz daran beteiligt war, habe ich erst begriffen, als ich sie besser kennenlernte und über dich reden hörte. Sie hat es nicht verdient, verletzt zu werden – und zwar weder von mir noch von dir.«
Paul ärgerte sich, dass sein Bruder sich mit ihm auf eine Stufe stellte. »Warum heiratest du sie dann nicht?«
»Wie ich schon sagte, sie verdient es nicht, verletzt zu werden«, sagte John ernst. »Meine früheren Spielchen gebe ich gern zu, aber das ist vorbei. Von George weiß ich, dass die Raven in der Morgendämmerung wieder im Hafen eingelaufen ist. Von einem Sturm und einem gesplitterten Mast war die Rede. Wenn sie wieder Segel setzt, vermutlich morgen Nachmittag, werde ich an Bord gehen.«
»Wie bitte? Einfach so?«
»Ja, Paul, einfach so. Bevor ich es Charmaine und den Kindern sage, wollte ich zuerst mit dir sprechen.«
»Ich kann es nicht glauben«, stammelte Paul.
»Das wirst du wohl müssen, denn genauso ist es. Außerdem ist es so am besten.«
»Denkst du das wirklich? Du kommst hierher, bringst das Leben der Kinder durcheinander, sorgst dafür, dass sie sich an dich gewöhnen – und dann packst du einfach deine Sachen und verschwindest? Warum tust du das? Willst du Vater für den gestrigen Abend bestrafen, ihn als den unbarmherzigen Patriarchen darstellen, für den du ihn hältst?«
John zog die Brauen zusammen, aber er bezähmte seine Wut und bemühte sich um eine ruhige Antwort. »Nein, Paul, du kannst es glauben oder nicht. Meine Entscheidung hat nichts mit Vater zu tun, aber mit den Kindern. Auch ich habe mich an sie › gewöhnt ‹ , wie du das so schön sagst. Aber ein solches Verhältnis darf nicht sein, nicht wahr? Was ich nicht mitnehmen darf, muss ich loslassen.« Er senkte den Kopf, dann sah er Paul eindringlich an. »Allein aus diesem Grund werde ich mich morgen auf der Raven einschiffen und nicht mehr zurückkommen.«
Paul war zutiefst verunsichert. »Und was hat das alles mit Charmaine Ryan und mir zu tun?«
John sagte nichts darauf, aber Paul dachte lange über die Frage nach, bis die Teile
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