Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)
laufen. Du hast unsere Chance nur nicht gesehen. Es ist wichtig, in einer Niederlage sein Glück zu erkennen! Glück, Robert!« Sie lachte. »Die Wahrheit liegt auf dem Tisch. Das wird unseren Erpresser enttäuschen, schätze ich. Dabei dachte der Arme, dass er die Sache perfekt eingefädelt hätte.« Vor Begeisterung spitzte sie die Lippen. »Wie fandest du meinen Auftritt? War ich überzeugend?«
»Du hast mich fast zum Weinen gebracht, liebe Schwester.« Er war begeistert, wie klar sie auch unter Druck denken konnte und wie schön sie war. »Du solltest dich beim Theater bewerben. Dazu ist es nie zu spät. Wie wäre es mit … New York?«
»Aber nein, Robert. Die hiesige Produktion ist doch viel einträglicher.«
»Woher wusste Frederic so genau über Colette Bescheid?«
»Das tut jetzt nichts mehr zur Sache. Wenn Frederic mehr Informationen gehabt hätte, hätte er mir die Geschichte nicht abgenommen. Ich persönlich glaube, dass er nur geblufft hat.«
»Wie dem auch sei, jedenfalls ist sein Misstrauen jetzt geweckt.«
»Und wir haben ihn darin bestätigt«, sagte Agatha. »Von nun an glaubt er, dass wir uns um sein Wohlergehen sorgen. Wie könnte er uns daraus einen Vorwurf machen? Nein, Robert, um Colette müssen wir uns keine Sorgen mehr machen. Es gibt noch andere Probleme, um die wir uns kümmern müssen.«
»John?«
»Ja, genau.«
»Aber er verlässt Charmantes. Paul hat das bei der Beisetzung erwähnt.«
Nachdenklich sah sie ihn an. Sie hatte keinen Zweifel an Johns Absicht, aber freiwillig zu gehen war etwas anderes, als fortgejagt zu werden. Plötzlich war ihre gute Laune ein wenig getrübt.
»Du bist jetzt Frederics Frau und Hausherrin auf Charmantes … Was willst du mehr?«
»Ich will alles, Robert. Ich will vor allem, dass dem rechtmäßigen Erbe das gesamte Familienvermögen zufällt. Du wirst sicher besser schlafen, wenn du weißt, dass Frederics Vermögen an Paul fällt, und zwar an Paul allein. Wie die Dinge augenblicklich stehen, wird John uns den Hunden zum Fraß vorwerfen, sobald Frederic die Augen schließt.«
Robert erschrak, doch insgeheim musste er seiner Schwester recht geben.
Bei ihrer Rückkehr erfuhr Charmaine, dass John kaum fünf Minuten, nachdem sie aufgebrochen war, über die Hauptstraße nach Hause gekommen war. Sie übergab Gerald die Zügel und ging ins Haus.
Aber weder im Wohnraum noch in der Bibliothek war eine Spur von ihm zu entdecken. Auf dem Rückweg bemerkte sie die Post, die wie immer auf dem Tisch in der Halle lag. Der oberste Brief auf dem Stapel war an sie gerichtet und stammte von Loretta Harrington. Rasch erbrach sie das Siegel und überflog den Inhalt.
Liebe Charmaine,
Dein letzter Brief hat mich sehr beunruhigt. Du weißt, dass ich keine voreiligen Urteile fälle und einen Menschen lieber zuerst kennenlerne. Aber Deine Beschreibung von John Duvoisin hat mich doch sehr beunruhigt. Ich hoffe nicht, dass der Mann so unerträglich ist, wie Du ihn schilderst, aber ich habe trotzdem meine Bedenken. Vielleicht gibt es ja noch andere Gründe für seine düsteren Stimmungen …
Guter Gott. Charmaine stöhnte. Sie musste Loretta noch heute Abend antworten und das schreckliche Bild berichtigen, das sie von John gezeichnet hatte. Allerdings wusste sie nicht, wie sie es über sich bringen sollte, über Pierres Tod zu schreiben.
Es war schon spät. Charmaine hatte ihre Gebete beendet und wollte soeben zu Bett gehen, als es an der Tür klopfte. Sie streifte ihren Morgenmantel über und öffnete. Es war John. »Haben Sie schon geschlafen?«
»Nein, noch nicht.«
»Ich muss Sie einen Augenblick sprechen, Charmaine.« Er bedeutete ihr, zu ihm in den Korridor zu kommen.
Obwohl sie ahnte, dass es um etwas Unerfreuliches ging, folgte sie ihm zu seinem Ankleidezimmer. Er schloss die Tür und lehnte sich dagegen. Charmaine sah ihn an und wartete, dass er begann.
»In der Morgendämmerung verlasse ich Charmantes und fahre nach Virginia zurück.«
Sie schloss die Augen. Hatte sie nicht gewusst, dass es so kommen würde? Die Mädchen werden verzweifelt sein .
»Ich hoffe, dass Sie mir noch einen Gefallen tun, Charmaine, und Yvette und Jeannette in meinem Namen Adieu sagen. Ich habe es den Mädchen nicht selbst gesagt, weil ich ihren Kummer nicht ertrage. Ich will ihnen nicht wehtun.«
»Müssen Sie denn fort?«, flüsterte sie.
»Außer meinen Schwestern gibt es nichts mehr, was mich hier hält. Wenn ich könnte, würde ich Sie alle drei mitnehmen und aus dieser
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