Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)
gescheitelt und frisiert, und sein Blick ließ keinen Zweifel daran, dass er klar bei Verstand war.
»Die Wahrheit?« Blackford zögerte. »Welche Wahrheit denn?«
»Über meine Frau – meine verstorbene Frau Colette. Ich weiß aus sicherer Quelle, dass der Anlass für ihren Tod nicht derjenige war, den Sie mich glauben machen wollten. Wie ich schon sagte, ich will die Wahrheit wissen.«
»Aber, Frederic!«, warf Agatha ein. »Willst du Robert vielleicht unterstellen, dass er dich belogen hat?«
Frederic hatte auch seine Frau rufen lassen, und sie war sichtlich überrascht, als sie ihren Bruder bei ihm antraf.
»Ist das nicht offensichtlich, Frau?«, stieß Frederic zwischen verkniffenen Lippen hervor und funkelte Agatha an.
Blackford war seiner Schwester für die dumme Bemerkung dankbar, weil sie ihm Zeit zum Überlegen bot, wie er sich gegen diesen unerwarteten Vorwurf zur Wehr setzen konnte.
»Und du hältst gefälligst den Mund, Agatha!«, befahl Frederic. »Du hast schließlich durch das Unglück am meisten profitiert.«
Agatha fühlte sich bis ins Mark getroffen, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Wer hat meine Diagnose in Zweifel gezogen?«, fragte Blackford. »Ich war doch der einzige Arzt, der Ihre Frau behandelt hat. Wer also hat Ihnen gesagt …?«
»Das ist meine Sache! Ich weiß es!«
Robert schwieg. Wer ist dieser Informant?
»Ich warte, Blackford! Ihr Schweigen macht Sie zum Schuldigen.«
Da der Vorwurf Blackford völlig unerwartet getroffen hatte, sah er nur zwei Möglichkeiten: die Lüge oder die Wahrheit. Damit er sich nicht entscheiden musste, hielt er sich lieber an den einmal eingeschlagenen Weg. »So wie Sie das Recht haben, an meiner Diagnose zu zweifeln, so habe ich das Recht zu erfahren, was dieser Diagnose widerspricht.«
»Sie haben überhaupt kein Recht!«, zischte Frederic. »Ihre Arbeitsmöglichkeit auf der Insel beruht allein auf meinem guten Willen. Bisher war ich Ihnen wohlgesinnt, aber das kann sich blitzschnell ändern. Ich weiß, dass meine Frau mir nicht untreu war, also konnte sie auch keine Fehlgeburt erleiden. Warum haben Sie mich belogen?«
Die Spannung löste sich erst, als Agatha einen Schritt nach vorn trat. »Robert trifft keine Schuld, Frederic. Das Ganze war meine Idee.«
Unter seinem durchdringenden Blick senkte sie den Kopf. Ihre unerwartete Beichte ließ ihn die Stirn runzeln. Sie atmete tief ein, bevor sie den Kopf hob und ihn ansah. Ihre Wangen waren tränennass. »Robert wollte es nicht tun, aber ich habe ihn angefleht, bis er schließlich mir zuliebe eingewilligt hat.«
Sie schien nach Worten zu suchen und tastete vergeblich nach einem Taschentuch. Letztlich wischte sie sich die Tränen mit den Händen ab.
»Was sagst du da?« Frederic konnte kaum an sich halten.
»Ich liebe dich, Frederic!«, stieß sie hervor. »Und wie du weißt, habe ich das immer getan! Nach Colettes Tod hast du dich so sehr in deine Trauer hineingesteigert, dass mein Herz für dich geblutet hat. Bevor du verhungern oder wahnsinnig werden konntest, habe ich Robert angefleht, Colette in ein schlechtes Licht zu rücken und dir zu beweisen, dass sie solch tiefe Trauer nicht wert war. Ich hoffte, dass dich das zu den Lebenden zurückbrächte. Außerdem gab es ja noch die Kinder. Sie mussten den Verlust ihrer Mutter verkraften … und du warst nicht an ihrer Seite! Sie haben allerlei beängstigende Einzelheiten aufgeschnappt und wollten irgendwann auch nicht mehr essen.«
Agatha legte eine kleine Pause ein, damit Frederic das Gehörte überdenken konnte. Natürlich würde er Rose und die Gouvernante dazu befragen. Als sie wieder sprach, wirkte ihre Reue sehr überzeugend. »Was ich getan habe, war falsc h. Aber ich war außer mir vor Angst, dass die Kinder dich auch noch verlieren, wenn wir keine Maßnahmen ergreifen. Du hattest doch so vieles, wofür sich das Leben lohnte: deine Söhne und Töchter und … mich . Ja, auch mich. Ich habe zu Gott gebetet, damit du für mich weiterlebst.«
Frederics Blick wanderte von der leise schluchzenden Agatha zu Blackfords todernster Miene. Demnach … hatte John recht. Er empfand nur noch Abscheu. Vor sich selbst und vor seinem schrecklichenBenehmen, das den Anlass zu dieser heimtückischen Lüge geboten hatte. Er konnte die beiden nicht verurteilen, wenn er selbst die Bühne für ihr Theater bereitet hatte. Aber er konnte sie auch nicht länger ansehen. »Geht mir aus den Augen!«
Rasch verließen die beiden den Raum, und
Weitere Kostenlose Bücher