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Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)

Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)

Titel: Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DeVa Gantt
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Priester!«
    »Nach meiner Auffassung nicht. Oder haben Sie schon einmal Worte wie Mitgefühl oder Liebe von ihm gehört, geschweige denn erlebt?«
    Charmaine biss sich auf die Zunge. Das klang plausibel, und doch hatte sie das Gefühl, als ob John sich eher über ihren Glauben als über Father Benito lustig machte.
    »Ich sehe schon, Sie sind mir böse«, sagte er. »Dabei habe ich nichts gegen Priester. Ein guter Freund von mir ist Priester, und er ist ein freundlicher, mitfühlender Mensch, der Benito das eine oder andere beibringen könnte. Obgleich bei ihm Hopfen und Malz verloren ist, wie ich meine.«
    »Bei wem? Bei Father Benito oder bei Ihrem Freund?«
    Bevor John antworten konnte, kam Paul herein und bemerkte Charmaines gerunzelte Stirn.
    »Was ist los? Ärgert er Sie wieder?«
    »Aber nein«, antwortete sie mit einem Blick zu John. »Nicht wirklich.«
    »Wir haben über Father Benito diskutiert«, bemerkte John. »Würdest du ihn als guten oder schlechten Priester beschreiben, Paul?«
    Paul wehrte ab. »Im Moment habe ich leider keine Zeit dafür. Ich muss etwas mit dir besprechen.«
    »Und das wäre?«
    »Ich möchte unter vier Augen mit dir sprechen.«
    John brummelte zwar, aber natürlich stand er auf und folgte seinem Bruder nach unten. Im Arbeitszimmer ließ sich John auf ein Sofa fallen.
    »Wir brechen morgen in aller Frühe auf«, begann Paul.
    John war verwirrt. »Wer wir?«
    »Vater, Agatha und ich, und natürlich einige der Diener.«
    »Wovon sprichst du?«
    »Das haben wir doch bei Tisch besprochen. Vater möchte die Fortschritte auf Espoir persönlich in Augenschein nehmen. Wir werden ungefähr eine Woche fortbleiben.«
    John runzelte die Brauen und überlegte. »Ich kann mich nicht daran erinnern.«
    »Vermutlich haben wir das ausgemacht, bevor du gekommen bist. Egal. Wenn wir morgen fahren, wüsste ich gern, dass auf Charmantes alles so läuft, als ob ich zu Hause wäre. Der Zuckerrohrernte gilt meine größte Sorge. Zwei Felder wurden vom Sturm verschont, aber für das Pressen brauchen wir jede Hand, wenn wir keinen Verlust machen wollen. George sagt, er habe alles im Griff, aber wenn die Fässer auf die Raven verladen werden, braucht er unbedingt Unterstützung.«
    »Auf die Raven ?«, fragte John. »Die müsste doch längst auf dem Weg nach Richmond sein.«
    »Wäre sie auch, wenn der Sturm sie nicht aufgehalten hätte. Heute bin ich froh, dass ich die Melassefässer verladen kann.« Paul legte eine kleine Pause ein. »Kann ich auf deine Hilfe zählen?«, fragte er dann, als John nichts sagte.
    Eine unheimliche Stille breitete sich aus. John starrte auf die große Bücherwand am anderen Ende des Raums, und Paul fragte sich, ob sein Bruder die Frage überhaupt gehört hatte.
    Er wechselte das Thema. »Da ist noch eine andere Sache. Ich hätte gern dein Wort als Gentleman, dass du Charmaine in meiner Abwesenheit nicht bedrängst.« Wieder reagierte John nicht. »John«, fuhr Paul ihn ungehalten an, »hörst du mir überhaupt zu?«
    Johns Blicke richteten sich auf seinen Bruder. »Sorge dich nicht, Paul, sorge dich einfach um gar nichts.«

6
    Montag, 2. Oktober 1837
     
    Auf der großen Wiese vor dem Haus herrschte ein chaotisches Durcheinander. Emsig eilten Hauspersonal und Stallknechte zwischen Haus und Sattelplatz hin und her. Frederic Duvoisin unternahm eine Reise, und alle seine Bediensteten waren ihm mit Hingabe dabei behilflich. Zwei Pferde wurden aus dem Stall geführt und vor den nagelneuen Brougham gespannt. Paul hatte den zweisitzigen Wagen im letzten Winter in England in Auftrag gegeben, und vor einem Monat war er mit einem der Schiffe auf Charmantes eingetroffen. Während die letzten Schnallen geschlossen wurden, tänzelten die peinlich genau aufgezäumten Pferde so nervös herum, dass zwei Pferdeknechte nötig waren, um den Wagen vor der Säulenhalle zum Stehen zu bringen. Charmaine und die Kinder standen etwas abseits des Trubels, um nicht im Weg zu sein. Dann endlich war es so weit, und die Haustür öffnete sich ein letztes Mal.
    Frederic verließ hinkend das Haus, und sein schwarzer Stock begleitete jeden Schritt mit einem vernehmlichen Klacken. Auf der ersten Stufe strauchelte er für Sekunden, doch er fing sich sofort und scheuchte seine besorgte Frau zur Seite, als sie ihm zu Hilfe eilen wollte. »Lass mir wenigstens diesen Stolz!«, zischte er fast unhörbar.
    Als Agatha zurückfuhr, folgte ihr Frederics zorniger Blick. Da die Szene nicht unbemerkt blieb, sah Agatha

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