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Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)

Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)

Titel: Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DeVa Gantt
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1807. Mit zweiunddreißig Jahren war er damals ein vermögender Junggeselle am Beginn seines Lebens gewesen. Agatha war zweiundzwanzig Jahre alt und jung und schön, sehr schön sogar. Aber seine Augen hatten nicht sie angesehen, als der Wagen in den Hafen von Charmantes eingebogen war, sondern Elizabeth, die ihre Hände bescheiden im Schoß gefaltet hatte und ihm nach ihrer kurzen Begegnung im Stall mit leicht geröteten Wangen und gesenktem Kopf gegenübersaß.
    Kühn hatte Elizabeth ihn im Stall angesprochen. »Sind Sie in meine Schwester verliebt, Mr. Duvoisin?«
    Verblüfft hatte er die Gegenfrage gestellt. »Was hat Liebe denn mit einer geschäftlichen Entscheidung zu tun?«
    Eigentlich hätte sie beleidigt sein müssen – doch er hatte etwas ganz anderes in ihren braunen Augen gelesen und war neugierig geworden.
    »Aber meine Schwester liebt Sie, nicht wahr?«
    Irritiert hatte er die Stirn gerunzelt. »Wie alt sind Sie, Elizabeth?«
    »Ich bin gerade siebzehn geworden.«
    »Und alles andere als erwachsen«, hatte er spöttisch angemerkt.
    Im nächsten Moment hatte sie schüchtern ihren Blick abgewendet. Aber das hatte ihn nicht daran gehindert, sie weiterhin anzustarren, wie er das schon während der letzten zwei Wochen getan hatte. Sie war nicht halb so schön wie ihre Schwester, aber dafür hinreißend und lebendig. Anfangs hatte er ihre Fragen mit kindlicher Sorge um ihre große Schwester erklärt und die Macht, die sie über ihn hatte, völlig unterschätzt. Wofür er Gott heute noch dankte. Denn das war der Beginn ihrer Liebe gewesen. Gott, wie sehr hatte sie ihn seither verfolgt. Colette hatte dieselbe Wirkung auf ihn gehabt, was kein Wunder war, denn die beiden Frauen waren einander in vielem ähnlich. Er erinnerte sich an den Stall. Selbst ihre intimen Begegnungen waren ähnlich verlaufen. Geradezu unheimlich.
    Es war nur traurig, dass ihm heute Agatha gegenübersaß. In Momenten wie diesen fühlte er großes Schuldbewusstsein. Vermutlich hatte er ihr Leben genauso ruiniert wie sein eigenes. Paul hatte recht. Er hätte Agatha niemals heiraten dürfen. Er betete, dass sein jetziges Vorhaben glücklicher endete als die damalige Brautwerbung, und er war bereit, die beiden als Sühne für seine vielen Sünden anzubieten.
    »Aber Sie müssen mitkommen!«, bat John eindringlich. »Ich möchte, dass Sie mitkommen! Ich bitte Sie darum!«
    »Es tut mir leid, John, aber ich kann das nicht machen. Es wäre nicht das, was Colette wollte. Außerdem haben Sie nicht an Yvette und Jeannette gedacht. Die Mädchen wären am Boden zerstört.«
    »Nan …«
    »Nein, John, ich kann es nicht. Ich kann es einfach nicht.«
    Verzweifelt wandte Rose sich ab.
    Wie angewurzelt blieb Charmaine unter der Tür stehen. »Es tut mir leid, ich wollte nicht …«
    Mit schmerzverzerrtem Gesicht wie an dem Morgen, als er von Colettes Tod erfahren hatte, fuhr John herum. Rasch überspielte er seine Gefühle mit einem gezwungenen Lächeln. »Kommen Sie ruhig herein, Miss Ryan. Rose und ich haben schon alles besprochen.«
    Der Rest des Tages verging in ähnlich unwirklicher Stimmung und steigerte Charmaines Bedenken nur noch. Nicht einmal Yvettes begeisterte Rufe »Wir haben das ganze Haus für uns allein!« und »Nur Johnny und wir! Und keine Auntie Agatha, die uns überall nachspioniert!« konnten daran etwas ändern.
    Nur Johnny und wir … Da lag das Problem. Charmaine wollte keine Woche »nur Johnny und wir« – sie wollte ja nicht einmal diese eine Nacht erleben müssen. John hatte sich sonderbar benommen, aber die anderen genauso. Fatima hatte darauf bestanden, ihm beim Dinner unentwegt vorzulegen, als ob es morgen nichts mehr zu essen gäbe, und Rose hatte oben in ihrem Zimmer gespeist und sie mit John und den Kindern am Tisch allein gelassen. Obendrein hatte John sie ständig prüfend angestarrt, als ob er ihren wahren Wert schätzen wollte, bis Charmaine so unwohl zumute gewesen war, dass sie sich mit dem Essen beeilt und sich danach sofort mit den Kindern zurückgezogen hatte.
    Inzwischen war es zehn Uhr, und die Kinder schliefen schon lange. Um wach zu bleiben, bis auch John zu Bett ging, brauchte Charmaine ein Buch. Doch als sie das Foyer erreichte, zögerte sie. Wollte sie den Mann wirklich stören?
    Nach dem Dinner hatte sich John im Arbeitszimmer vergraben, wo er, wie sie hörte, noch immer unablässig auf und ab lief. Offenbar hatte sich der Aufruhr in seinem Inneren noch nicht gelegt. Es wäre verrückt gewesen, sich in

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