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Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)

Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition)

Titel: Der Fluss der Erinnerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DeVa Gantt
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hinüber zu den Ställen.
    Agatha betrachtete ihren Mann genauso eindringlich, wie er das Blattwerk entlang der Straße musterte. Seit er sich ihr gegenüber auf den Polstersitz hatte fallen lassen, hatte er sie keines Blickes gewürdigt. Aber das machte ihr nichts aus. Genauso wenig wie seine ewigen Nörgeleien vor den Dienstboten. Er meinte die Dinge nicht so, wie er sie sagte, wusste gar nicht, wie grausam seine Worte klangen. Seine Behinderung hatte seine schroffe Art nur noch verschärft – und machte es ihr leicht, ihm zu verzeihen. Wenn er besonders barsch zu ihr war, dachte sie daran, dass sie schließlich mit ihm verheiratet war. Sie war seine Frau, und diese Tatsache versüßte so manche Kränkung. Wenn das Leben zurzeit auch zuweilen schwierig und nur schwer zu ertragen war, so tröstete sie doch die Hoffnung auf eine leuchtende Zukunft, die ihr gehörte. Als Mrs. Frederic Duvoisin hatte sie jetzt Zeit genug, um seine Liebe zurückzugewinnen. Hatte sie nicht ihr Leben lang gewartet und in jeder wachen Minute geplant, um genau das zu erreichen, was sie nun besaß? Sie war seine Frau! Obgleich Robert ihren Ehrgeiz verspottet und ihn hatte auslöschen wollen, hatte sie niemals aufgegeben. In keiner Sekunde hätte sie auch nur an eine Niederlage gedacht. Wie denn auch, da es sie nur nach Frederic und sonst niemandem verlangte?
    Seit ihrem ersten Kuss hatte sie gewusst, dass ihr kein anderer Mann je genügen würde, dass sie ohne ihn nie vollständig wäre. Guter Gott, wie sehr sie ihn liebte! Selbst nach so vielen Jahren sehnte sie sich wie verrückt nach ihm. Wenn es nötig wäre, würde sie sogar ihr Leben opfern, damit er ihr endlich die heiß ersehnten drei Worte zuflüsterte. Erst dann konnte sie sicher sein, dass nichts von alledem falsch gewesen war, was sie im Namen der Liebe getan hatte.
    Frederic … Er sah noch immer bestens aus. Trotz seiner zweiundsechzig Jahre ließ er ihr Herz hämmern, ihre Glieder erzittern und sie an ihre frühere Leidenschaft denken. Seit ihrer Hochzeit hatten sie nur wenige intime Momente geteilt, doch seit zwei Monaten hatte er sie vernachlässigt. Sie aber sehnte sich nach den Berührungen von damals, bevor ihm der Schlaganfall die Manneskraft geraubt hatte. Konnte es je wieder so werden? Durfte sie hoffen? Mit einem schiefen Lächeln versprach sie sich selbst, weit mehr zu tun. Vor dreißig Jahren war sie, was das Liebesspiel anging, noch eine Novizin gewesen. Wenn sie damals schon die Erfahrung von heute gehabt hätte, hätte Frederic sie niemals so einfach aufgegeben und sich nicht so einfach von den Ränken ihrer fünf Jahre jüngeren Schwester einfangen lassen.
    Elizabeth … die Quelle ihres Schmerzes, die ihr Leben zerstört hatte. Elizabeth … stets darauf bedacht, das zu bekommen, was ihr nicht gehörte. Elizabeth … im Handumdrehen mit Frederic verheiratet. Elizabeth … die England ohne Bedauern verließ, ohne sich um ihre verzweifelte Schwester zu sorgen. Doch der Allmächtige hatte eine schwere Strafe für Elizabeth vorgesehen. Trotz ihrer sogenannten Liebe hatte Elizabeth nicht überlebt … ein sicheres Zeichen dafür, dass diese Liebe keine wirkliche Liebe gewesen war.
    Frederic … am liebsten würde sie sich neben ihn setzen, sich an ihn schmiegen, ihm das Haar aus der Stirn streichen und den düsteren Ausdruck vom Gesicht wischen. Er hatte so viel Kummer erlebt und so viel Schmerz erduldet. Zuerst Elizabeth und nun John. Wie die Mutter, so der Sohn. Wie sehr wünschte sie, Frederics Leben in Ordnung zu bringen. Doch in seiner Bitterkeit übersah er die einzige Person, die ihn mehr liebte als alle die, die er so verehrte: weder seine ihn anbetende Elizabeth, noch seine junge Colette, auch nicht sein alberner Pierre, seine verwöhnten Töchter, ja nicht einmal Paul liebte ihn so sehr wie sie. Eines Tages in naher Zukunft würde er das erkennen. Er würde erkennen, wie blind er gewesen war, wie sehr er sich geirrt hatte, indem er zuließ, dass John sie lächerlich machte, und dass es ein Fehler gewesen war, bei der Verteilung seines Vermögens die Pflicht und den Sittenkodex der Gesellschaft an die erste Stelle zu setzen. Eines Tages würde er sich ihr zuwenden, wie sich ein Mann seiner Frau zuwandte, und dann würde sie für ihn da sein.
    Frederic lehnte sich in die Kissen zurück und tat so, als ob er schliefe. Dabei sah er seine Frau unter halb geschlossenen Lidern an. Mit einem Mal hielt die Vergangenheit in Brougham Einzug. Man schrieb das Jahr

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