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Der Fluß

Der Fluß

Titel: Der Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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Überlebenden zu holen, begegnet Marianne meinem Blick. Ihre Haare sind noch naß. Das Gesicht ist ungeschminkt und ihr Ausdruck verzweifelt, wie vor einigen Wochen, als sie ihre Tochter begrub.
    »Ich habe nicht erwartet, dich so bald wiederzusehen, Aksel«, sagt sie matt.
    Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Ich fühle mich beklommen. Zuviel Trauriges verbindet uns bereits.
    »War er ein guter Freund von dir?« höre ich mich sagen und möchte nicht zu neugierig erscheinen.
    Sie starrt mich nur hilflos an. Ist unfähig, zu antworten.
    Dann verschwinden sie, in Decken gehüllt, man hilft ihnen in den Krankenwagen, als seien sie behindert. Aber sie sind die Überlebenden. Sie sollen ärztlich untersucht werden. Dann wird die Polizei ihre Fragen stellen. Rebecca steht neben mir und flüstert mir ins Ohr:
    »Unfaßbar, daß das Anjas Mutter ist. Unfaßbar, daß sie das auch noch durchmachen muß.«

    Am Abend ist es wieder still und ruhig. Als sei nichts geschehen. Nur die Dünung ist geblieben. Ein Schlepper hat die »Furchtlos« mitgenommen. Auf dem Meer wimmelt es von Sportbooten. Schaulustige, die von dem Schiffbruch gehört haben. Ich sitze neben Rebecca auf der Terrasse, habe den Arm wieder um sie gelegt, weil sie gehalten werden will.
    »Erinnerst du dich, was du mir über das Haus der Skoogs erzählt hast? Daß es dir plötzlich wie ein Tatort erschien? Jetzt ist das Ferienhaus auch zum Tatort geworden. Aber genau hier ist einmal mein Glück gewesen! Hier waren die Sommer meiner Kindheit! Und auf einmal alles vorbei. Plötzlich verstehe auch ich, daß es schwierig sein kann, älter zu werden, Aksel.«
    Sie versucht zu lächeln, schafft es aber nicht.
    »Warum mußte er sterben ?«
    Ich lasse sie reden. Sie hat länger in einer Unschuldswelt gelebt als ich. So lange lebte sie mit dem Gefühl, frei zu sein, Möglichkeiten zu haben, wählen zu können. Aber das, was an diesem Tag geschehen ist, läßt ihr keine Wahl. Es empört sie, daß auch sie mit dieser Tragödie verknüpft ist, als Zeugin, und fast noch mehr empört es sie, daß ich dem ausgesetzt werde.
    »Wie werden wir das in Erinnerung behalten, Aksel?« fragt sie in kindlicher Unschuld. »Wird das Boot in unseren Köpfen wieder und wieder kentern? Siehst du jede Nacht,bevor du einschläfst, deine Mutter, wie sie im Wasserfall ertrinkt?«
    Ich denke nach. »Nein, jetzt nicht mehr«, sage ich. »Aber sie ist mir nach wie vor sehr nahe. So wie mir Anja nahe ist. Die Toten leben mit uns, ob wir wollen oder nicht. Manchmal denke ich, daß sie bestimmen, wie lange sie als Tote leben, mit uns, den Lebenden.«
    »Du hast so viele seltsame Gedanken, Aksel.«
    »Aber du wirst Abstand gewinnen von diesem Ereignis. Du hast den Ertrunkenen ja nicht einmal gekannt.«
    »Nein, aber ich werde nie seine Arme vergessen. Sie hingen so schlaff in der Luft.«
    »Hast du sehr viel Angst vor dem Tod?«
    »Ja.«

    Es wird kühl. Wir gehen hinein, entzünden das Gas in dem protzigen Kupferkamin, der keine Wärme spendet. Ich überlege, ob es eine Musik gibt für einen Abend wie diesen, sehe aber ein, daß das nicht der Fall ist. Als Mutter starb, hatte ich Brahms vierte Sinfonie im Kopf, aber nur, weil es an jenem Sonntag als Morgenkonzert im Radio gespielt worden war und weil Mutter mitgesungen hatte. An ihr Lied erinnerte ich mich, als sie der Fluß mit sich riß. Und als ich die Nachricht von Anjas Tod erhielt, klang in mir Schuberts »C-Dur-Quintett«, woran aber Anja schuld war, weil sie über Schubert gesprochen hatte, weil ihr Schubert soviel bedeutete. Aber für dieses Ereignis, für diese Tragödie, die man als sinnlos bezeichnen könnte, obwohl es nur die natürliche Folge der maskulinen Selbstüberschätzung des Steuermanns war, gab es keine Musik. Die Musik, die uns immer Schutz gegeben, die uns Auswege gezeigt hatte, existierte nicht. Ich sage es zu Rebecca. Sie nickt, hört nur halb zu.
    »Leg trotzdem eine Platte auf«, sagt sie.
    Sie sieht klein und verängstigt aus auf der Couch, die Beine angezogen und die Arme darum geschlungen, gleicht auf beinahe komische Weise einer Spinne, die sich bedroht fühlt und sich zusammenrollt, wie eine Kugel. Während ich die aufwendige Plattensammlung durchgehe, liest sie meine Gedanken:
    »Glaubst du, der Tote war der Freund von Anjas Mama?« »Nein«, sage ich rasch, als wolle ich verhindern, daß sich der Gedanke weiter ausbreitet. »Bei dem, was sie alles mitgemacht hat. Der Ehemann, der sich erschießt. Die Tochter,

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