Der Fluß
Rücken. Sie ist so unerschrocken, und sie hat mit mir über das Glück gesprochen. Daß ich danach greifen solle und es nicht verspielen dürfe. Warum bemühe ich mich nicht um Rebecca? Ist nicht jetzt der günstigste Augenblick, wo sie an mich geschmiegt im Bett liegt, wo ich sie erst vor ein paar Minuten besessen und liebkost habe? Ist nicht jetzt der richtige Augenblick, nachdem siemich eben aus einem Traum geholt und das vollbracht hat, was der Traum nicht zu vollbringen imstande war? Ist sie nicht eine perfekte junge Frau? Hat sie nicht mehr Mut als wir alle? Sie, die Unbestechliche, die trotzdem so etwas wie gerade eben geschehen läßt? Sie wartet nicht auf das Leben wie ich, denke ich. Sie ergreift es. Bestimmt darüber. Und wenn sie nicht bestimmt, wenn etwas Schreckliches passiert, dann findet sie die beste Lösung.
Ich liege da, höre sie im Schlaf ruhig atmen, und mich streift ein unheimliches Gefühl. Es war Anja, von der ich träumte. Ich träumte vom Tod. Vom Unmöglichen. Und wenn ich nun falsch geträumt habe? Wenn die Haut, die ich spürte, gar nicht die von Anja war? Vielleicht war es die Haut ihrer Mutter? Sie wäre beinahe ertrunken. Ich begehrte sie schamlos. Sie heißt Marianne Skoog. Sie ist über dreißig Jahre alt.
In dem Augenblick erwacht Rebecca.
»Du bist ein lieber Junge, Aksel Vinding. Weißt du das?«
»Nein«, sage ich aufrichtig. »Das weiß ich nicht.«
Sie greift nach mir. Kichert wieder.
»Es ist, wie ich dachte, Aksel. Wir müssen das, was so schön war, noch mal machen. Auf diesem Erdball werden nicht allzu viele gute Taten vollbracht. Aber dann, mein Freund, ist Schluß. Versprichst du mir das?«
»Ja, ich verspreche es.«
Abschied vom Paradies
Es ist schon lange Tag. Die Uhr zeigt nach zwölf. Wir kamen nicht aus dem Bett, weg vom befleckten Laken, vom befleckten Gewissen. Jetzt sitzen wir in der Küche, sind beide hungrig, rühren aber kaum einen Bissen an. Die Erinnerung an das Bootsunglück überfällt uns mit aller Macht. Ich merke, daß es Rebecca schlechtgeht.
»Du denkst an Christian«, sage ich.
»Nicht mehr als an dich oder an das, was gestern passiert ist«, erwidert sie. »Außerdem weiß ich, daß Christian einmal etwas Ähnliches gemacht hat.«
»Dann war das mit uns nur ein Racheakt?«
»Nein, du verstehst mich falsch. Ich wollte es. Habe es gebraucht, für mich!«
Sie schaut mich mit einem fast bittenden Blick an.
»Wir reden nicht mehr darüber.«
»Nein, nie mehr.« Sie greift über den Tisch nach meiner Hand. »Aber ich weiß, daß ich dich von jetzt an jeden Tag vermissen werde.«
»Du entscheidest dich für Christian«, erkläre ich.
»Ich habe mich für Christian entschieden. Das ist etwas anderes. Man setzt nicht einfach leichtfertig nach ein paar Monaten eine Verlobung aufs Spiel, nur weil man etwas verwirrt im Kopf ist.«
Nein, denke ich, das tut man wohl nicht.
»Ich halte es hier nicht mehr aus«, sagt Rebecca. »Merkst du, daß nichts mehr ist wie vorher? Nicht einmal das Licht ist wie vorher. Ich muß Mama und Papa anrufen. Und Christian. Es ist so schrecklich. Fährst du heute nachmittag mit mir zurück nach Oslo?«
Ich nicke.
»Was wirst du jetzt machen, Aksel?«
»Ich weiß es nicht.«
»Das hast du immer gesagt. Du mußt bald eine Entscheidung treffen. Aber man entscheidet leicht falsch.«
»Das hast du mir auch schon einmal gesagt.«
»Deshalb ist es nicht weniger richtig.«
»Du bist dir jedenfalls sicher, richtig entschieden zu haben?«
»So sicher man sein kann, ohne unmenschlich zu werden. Das, was heute nacht geschehen ist, war menschlich.«
Die Rückfahrt Die Ferien sind jetzt auch für alle anderen zu Ende. Wir haben beide nicht daran gedacht, daß Sonntag ist und das Ende der großen Ferien. Wir sitzen in Rebeccas neu erworbenem Mercedes Cabrio. Fabian Frosts Geschenk an seine Tochter zum bestandenen Führerschein. Eine träge und schwüle Hitze hat sich auf das Land gelegt. Auf der E 18 bewegen wir uns im Schneckentempo vorwärts hinauf zur Telemark. Keiner von uns sagt etwas. Die Stimmung zwischen uns ist angespannt. Ich habe den Eindruck, daß Rebecca das, was passiert ist, totschweigen will, daß sie jetzt bewußt Abstand von mir hält. Vielleicht haben wir eine Freundschaft zerstört, denke ich. Vielleicht wird sie mich ab jetzt meiden. War es das wert? Eine enge und lange Freundschaft, voller Vertrautheit und Nähe, gegen ein paar Minuten sündiges Glück? Ich weiß, daß mir die langen Abende im
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