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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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erschrocken zusammenzuckte. Als der Laster hinter ihnen verschwand, schwenkte Jeffers elegant auf die rechte Spur und fuhr weiter. Er zwang sich, an nichts zu denken, als ob er in seinem Kopf zu einer so grässlichen Leere fähig wäre wie diese verfluchten weißen Wände – leer, ohne sich an das zu erinnern, was er gesehen hatte, was er getan hatte und was er zu tun beabsichtigte.
     
    Sie rauschten am frühen Nachmittag an den ersten Ausläufern von New Orleans vorbei, als der Himmel sich verdunkelte. Anne Hampton sah, wie sich große, graue Gewitterwolken am Horizont zusammenballten. Ihr entging nicht, dass Jeffers mit zunehmend schlechtem Wetter schneller fuhr; als die ersten großen Regentropfen an die Windschutzscheibe spritzten, murmelte er gereizt einen Fluch und griff nach dem Schalter für die Scheibenwischer.
    Sie hatte gelernt, dass er redete, wenn er wollte, und sagtenichts. Wenig später brach er das Schweigen, und ihre Vorsicht erwies sich als gerechtfertigt.
    »Verdammt«, fluchte er. »Dieser Scheißregen macht Schwierigkeiten.«
    »Wieso?«
    »Bei Regen ist es schwerer, markante Stellen wiederzufinden. Ist lange her, dass ich das letzte Mal hier gewesen bin.«
    »Könnten Sie mir sagen, wohin wir fahren?«
    »Ja.«
    Er schwieg.
    »Sagen Sie es mir? Aber nur, wenn Sie wollen …«
    »Nein«, meinte er, »ich sag’s dir. Wir fahren zu einem Ort namens Terrebonne, einem Dorf an der Küste. Ein Stück hinter einer Kleinstadt namens Ashland. Das letzte Mal war ich, ähm, am achten August vierundsiebzig da. Deshalb kann mich jede Kleinigkeit, der Wetterumschwung oder eine neue Straße – und die scheinen wahrhaftig alle neu zu sein – aus dem Konzept bringen.«
    Anne Hampton sah aus den Fenstern auf das sumpfige Marschland, das mit Piniengruppen und wenigen Weiden durchzogen war. Es schien ein Ort prähistorischer Schrecken zu sein, und sie zitterte.
    »Es sieht ziemlich wild aus.«
    »Ist es auch. Es ist phantastisch, wie auf einem anderen Planeten. Einsam. Verloren. Abgelegen. Es hat mir wirklich gefallen, als ich das erste Mal hier war.«
    Für Sekunden glaubte sie, ihr stünde das Herz still. Ihre Kehle schien so eng, als hätte ihr jemand die Hände um den Hals gelegt. Ihr Gaumen fühlte sich staubtrocken an.
    Hier will er mich töten, dachte sie.
    Sie versuchte den Mund zu öffnen, um etwas zu sagen, brachte aber keinen Ton heraus.
    Sie wusste, dass sie die plötzlich eingetretene Stille füllen musste, und sie zermarterte sich den Kopf, was sie sagen sollte, obwohl sie in Wahrheit nur schreien wollte. Schließlich brachte sie eine Frage heraus, bereute aber augenblicklich, wie dürftig sie ausfiel.
    »Müssen wir dahin?«, fragte sie.
    Sie hörte sich an wie ein wimmerndes Kind.
    »Wieso nicht?«, fragte er zurück.
    »Ich weiß nicht, es kommt mir nur, na ja, sehr abgelegen vor.«
    »Deshalb hab ich es ja ausgesucht.«
    Sie sah, wie er ihr einen Blick zuwarf.
    »Du schreibst das ja gar nicht auf«, sagte er gereizt.
    Sie griff nach dem Stift und dem Notizbuch, doch ihr zitterten erneut die Hände, und die Worte auf den Seiten waren verschwommen und unleserlich.
    In diesem Moment schlug er zu, blitzschnell, so dass sie kaum sah, wie er die flache Hand vom Lenkrad hob. Sie keuchte und ließ den Stift fallen, griff aber, indem sie den letzten Rest an Geistesgegenwart zusammennahm, nach unten und hob ihn auf. Den Schmerz registrierte sie kaum.
    »Ich bin so weit«, versicherte sie hastig.
    »Wie lange willst du dich noch so dumm anstellen?«, herrschte er sie an.
    »Ich bemühe mich.«
    »Bemühe dich mehr.«
    »Ich versprech’s. Ich werde mich bemühen.«
    »Gut. Es gibt immer noch Hoffnung für dich.«
    »Danke. Es ist nur, nur …«
    Sie brachte die Worte nicht über die Lippen und fügte sich in die eintretende Stille. Sie lauschte auf das Motorengeräusch und das Quietschen der Scheibenwischer und fragte sich, wie es sich anfühlen würde, wenn es passierte.
    »Begriffsstutziger Boswell«, meinte Jeffers, nachdem einige Zeit verstrichen war.
    Er überlegte einen Moment, ob er sie beruhigen, ob er ihr verraten sollte, dass er noch Pläne mit ihr hatte, doch dann besann er sich eines Besseren. Lieber gelegentliche Tränen, als dass sie Hoffnung schöpfte.
    »Du solltest mehr an die Qualität des Lebens denken als daran, wie lang es ist.«
    Sie nickte.
    »Schreib das auf«, befahl er. »Aphorismen.
Jeffers – und wie er die Welt sah
.
Des armen Douglas Jeffers’ Almanach
.
Die Weisheiten des

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