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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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einen Rest Hühnchenfleisch neben den Teich, lief mit ihr ein Stück gegen den Wind und wartete.
    Die Schildkröte war über zwanzig Pfund schwer gewesen. Anne Hampton erinnerte sich an den ohrenbetäubenden Knall aus dem Gewehr. Ihr Großvater spreizte mit einem Stock den blutigen Kiefer und sagte: »Eine Schildkröte von der Größe kann dir mühelos ein Bein brechen.« Die Schildkröte starb, und dann starb Tommy und zwei Jahre später ihr Großvater. Sie dachte an den Nachbarn von gegenüber, der eines schwülen Sommermorgens an Herzversagen starb, als er versuchte, jahrelange Trägheit wiedergutzumachen, indem er anfing zu joggen. In der strahlenden Sonne schienen die Lampen des Krankenwagens nicht hell genug zu leuchten, als sei der Fall nicht allzu dringlich. Sie wusste noch, wie der Mann aschfahl und reglos auf dem Rasen lag. Ein Schnürsenkel war offen, und ihr war der seltsame Gedanke gekommen, dass er von Glück sagen konnte, weil ihn etwas aufgehalten hatte, bevor er stolperte und hinfiel. Außerdem hatte sie bemerkt, dass er zwei ungleiche Socken trug, eine mit einem grünen und die andere mit einem blauen Streifen. Das hatte sie schrecklich gefunden. Zu sterben war schlimm genug, aber sich dabei auch noch zu blamieren, war doppelt schlimm.
    Sie dachte daran, wie ihren Eltern eine kleine weiße Urne mit Tommys Asche ausgehändigt wurde, wie ihrer Mutter die Hände zitterten, als sie danach griff. Immer noch hörte sie die gedämpften Stimmen der Gäste: Ihr müsst jetzt tapfer sein. Wieso eigentlich? Wieso nicht einfach hemmungslos schluchzen? Das schien jedenfalls viel vernünftiger zu sein. Doch siehatte gesehen, wie ihre Mutter einen Schleier über ihre Trauer gelegt hatte und stoisch gefasst gewesen war. Im nächsten Moment war die Urne für immer verschwunden. Sie fragte sich, ob man Tommys Kleider mit verbrannt hatte. Wahrscheinlich wäre es ihm am liebsten gewesen, wenn der eng sitzende blaue Anzug, den sie ihm für den Kirchgang gekauft hatten, in Rauch aufgegangen wäre. Alle kleinen Jungs liebten und hassten ihre guten Sachen. Es gab diesen wundervollen Augenblick, in dem sie sich zum ersten Mal darin sahen und sich so erwachsen und würdevoll, so adrett und vornehm fanden; früher oder später gewannen Dreck und Grasflecken, zerfranste Hemdschöße und zerrissene Knie die Oberhand, und der erste Glanz war dahin. Bei der Schildkröte hatte es sich um ein Weibchen gehandelt, und Anne Hampton hatte ihrem Großvater geholfen, die Jungen zu finden. Er hatte sie in einen Sack gesteckt, ihr aber nicht verraten, was er damit vorhatte.
    Das ist der Tod, dachte sie, wenn es einem verschwiegen wird, man es aber trotzdem weiß.
    »Nicht viel«, antwortete sie nach einer Weile. »Mein Großvater ist gestorben. Dann ein Nachbar, beim Joggen. Ich war dabei. Ich hab’s mit angesehen.« Sie überlegte, ob sie ihren Bruder erwähnen sollte.
    Nein, dachte sie, das muss genügen.
    Aber sie konnte nicht an sich halten.
    »Mein Bruder ist gestorben. Beim Schlittschuhlaufen. Er ist ertrunken.«
    Sie zögerte, dann fügte sie hinzu: »Er war noch ein kleiner Junge.«
    Jeffers schwieg, bevor er antwortete.
    »Mein Bruder ist auch kurz davor zu ertrinken. Er weiß es nur nicht.«
    Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, doch sie speicherte die Information ab. Er hat einen Bruder.
    »Er weiß es einfach noch nicht«, wiederholte Jeffers. »Aber lange kann es nicht mehr dauern.«
    Mindestens eine Viertelstunde lang fuhr er weiter, ohne etwas zu sagen. Sie hatte sich zum Fenster umgedreht und blickte den Autos nach, an denen sie vorbeikamen, sah sich die Familien, die jungen Männer oder jungen Frauen an und versuchte, sich vorzustellen, wer sie waren und wohin sie wollten. Gelegentlich trafen sich ihre Blicke, wenn auch nur für Sekunden. Wie würden diese Leute staunen, wenn sie wüssten, was sie hierherbrachte.
     
    Douglas Jeffers konzentrierte sich nur halb aufs Fahren, der größte Teil seiner Aufmerksamkeit beschäftigte sich mit der Analyse von Gefühlen. Die Landschaft, durch die sie kamen, war unspektakulär, Farmen, Gemüsefelder und kleine Städte zwischen grünbraunen Hügeln eingesprengt. Er kehrte, immer noch Richtung Norden, auf die Interstate zurück und achtete nur wenig auf Tempo, Entfernung, Reiseziel und Verkehr. Er dachte eine Weile an seinen Bruder, dann an Anne Hampton, dann wieder an seinen Bruder.
    Marty besaß keine Leidenschaft, musste er feststellen. Er würde nie etwas unternehmen. Wie diese

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