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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Leichtigkeit.
    Jeffers summte eine Melodie. »Ich wüsste zu gerne, was derRattenfänger auf seiner Flöte gespielt hat. Ein und dasselbe Lied für die Ratten und die Kinder?«
    Er schien einen Moment zu überlegen.
    »Schon als kleiner Junge habe ich mich immer gefragt, wieso die Eltern von Hameln nichts unternommen haben. Ich meine, die standen einfach wie ein Haufen Vollidioten herum. Ich hätte …«
    Er beendete den Satz nicht.
    »Hör mal«, sagte Jeffers. »Was weißt du über Mord?«
    Sie dachte an den Obdachlosen und antwortete: »Nur, was ich neulich in der Nacht erlebt habe.«
    Jeffers lächelte.
    »Gute Antwort«, freute er sich. »Das zeigt, dass du Mumm in den Knochen hast, he? Boswell ist nicht ganz so ängstlich, wie sie manchmal tut.«
    Er gab Gas, und der Wagen machte einen Satz nach vorne. Ebenso schnell nahm er den Fuß vom Pedal und kehrte zu dem alten, bescheidenen Tempo zurück.
    »Mord ist, wie du gesehen hast, unglaublich einfach. Nur in Hollywood starren die Leute auf den Lauf einer Waffe und wagen vor Skrupeln und Schuldgefühlen nicht, abzudrücken. In Wirklichkeit geht es ganz schnell. Ein Streit und paff! Im Grunde ist es kein so großer Unterschied zwischen einer Auseinandersetzung im Ghetto in der Nacht, nachdem die Stütze ausgezahlt wurde, und einer Militäroperation, die wochen- und monatelange Vorbereitung erfordert. In beiden Fällen geht es letztlich um einen idiotischen Streit. Selbst in meinem Fall könnte ich vermutlich, wenn ich entsprechend in mich gehen würde, die Ursache für die Dinge finden, die ich tue. Aufgestaute Wut. Außer Kontrolle geratenen Hass. So würde es mein Bruder ausdrücken. Aber was ist aufgestaute Wut? Nichts weiter als ein Streit zwischen den verschiedenenTeilen der eigenen Persönlichkeit. Das Leben ist sowieso der Widerstreit zwischen deiner guten und deiner schlechten Seite. Die schlechte Seite will sich den übriggebliebenen Nachtisch unter den Nagel reißen, stimmt’s? Genau wie bei diesen Cartoons, die samstagmorgens im Kinderfernsehen laufen, wo ein kleiner Teufel aus der Schachtel springt und Foghorn Leghorn oder Donald Duck oder Goofy oder sonst ein niedliches, haariges Tierchen beschwatzt, etwas Unrechtes zu tun, und dann springt ein kleiner Engel aus der Box und besteht darauf, dass er sich für den rechten Pfad entscheidet …«
    Jeffers lachte trocken auf, bevor er weitersprach.
    »Wie auch immer, weißt du, weshalb wir dieses Verbrechen ungestraft begehen konnten? Weil es reine Willkür war. Schau uns an – sehen wir etwa wie Leute aus, die betrunkenen Obdachlosen das Hirn wegpusten? Leute auf der Suche nach dem Kick? Leopold und Loeb? Was? Ein Berufsfotograf doch nicht. Schon gar nicht ein preisgekrönter. Eine Spitzenstudentin doch nicht. Siehst du, kein Mensch kann uns mit dem Verbrechen in Verbindung bringen. Niemand hat uns gesehen. Niemand hat uns in Verdacht. Es war Zufall, Willkür, widrige Umstände, so zumindest wird es die Polizei einstufen.
    Strenggenommen ist es gar nicht richtig passiert. Oder was meinst du, wie viel Zeit ein unterbezahlter, überarbeiteter Ermittler bei der Mordkommission an einen toten Obdachlosen verschwenden wird, dessen Identität er wahrscheinlich nicht einmal feststellen kann? Zehn Minuten? Eine Stunde? Einen Tag? Mehr nicht. Gerade so viel Zeit, wie er benötigt, um ein Formular auszufüllen und an seinen Vorgesetzten weiterzureichen, um sich dem nächsten Fall zuzuwenden. Vielleicht was Pikanteres. Etwas, das Schlagzeilen macht. Etwas, das unserer Gesellschaft was bedeutet. Ein Prominentenmord oder ein Mord in einer Dreiecksbeziehung. Und wer wollte esihm verübeln? Siehst du, es war ja wirklich belanglos. Rätselhafter Tod eines unbekannten Stadtstreichers. Ein Memo an alle Dienststellen. Kurze Überprüfung, ob sie irgendwelche anderen ungelösten Morde an Obdachlosen haben, die vergleichbar sein könnten. Das war’s. Das ist zumindest die offizielle Version. Die politische Version …
    Dabei wissen wir es natürlich besser, nicht wahr? Zu blöd aber auch, was? So ein armer Cop könnte eine steile Karriere machen, wenn er nur die geringste Ahnung hätte, was tatsächlich vorgefallen ist. Denn es
war
gar nicht unwichtig. Jedenfalls nicht für uns, stimmt’s?«
    Nach einer ganzen Weile brachte sie eine Antwort heraus.
    »Aber es kann doch nicht immer so, ich weiß nicht, so leicht sein …«
    Sie hasste das Wort. Für ihn, das hatte sie begriffen, war es eine unumstößliche Wahrheit. Für sie

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