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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Badezimmer ging.
    Dann war die alte Angst zurückgekehrt.
    Du bist allein, hatte sie sich klargemacht. Vergiss das nicht.
    Vergiss nicht vor lauter Freude über ein Lob den Schmerz eines Schlags. Sie hatte versucht, sich innerlich zu panzern, und hatte im Dunkeln lange wach gelegen, bis der Schlaf sie mitsamt ihrer Verwirrung und ihrer Entschlossenheit übermannte.
    Am folgenden Morgen hatte er ihr erklärt, wie sie zusammen mit ihren Notizen ihr Gedächtnis nutzen sollte; wie sie einfach nur ein Stichwort aufschreiben und sich dann durch Konzentration das Gesagte in Erinnerung rufen konnte. Zu ihrer Überraschung hatte sie festgestellt, dass ihr Gedächtnis mit Hilfe seiner Technik eine neue Präzision erlangte, worüber sie sich freute wie über ein Geschenk. Außerdem riet er ihr, sich auch die jeweilige Situation und Zeit zu notieren, was ihr, sobald er es von ihr wünschte, dabei helfen würde, ihre Notizen zu rekonstruieren. Allerdings fragte sie sich, ob das möglich war. Sie sah keine Zusammenhänge, jeder Ort, den sie besuchten, war isoliert – allein durch Jeffers’ Erinnerungenmit den anderen verknüpft. Jede Station war, ebenso wie seine Stimmungsschwankungen, unerwartet und beängstigend, ausschließlich in seiner eigenen, undurchschaubaren Logik und Planung begründet. In nördlicher Richtung waren sie bis Hibbing, Minnesota, gefahren; nach Westen hin waren sie bis Omaha, Nebraska gelangt, fast so weit, dass sie im Geist schon die Rockies aus der Ebene ragen sah und an ihr Zuhause, an ihre Familie denken musste, die so unnahbar fern schien wie der Anblick der Berge. Kansas City, Iowa City, Chicago, Fort Wayne, Ann Arbor, Cleveland und Akron. In ihrem Kopf hatten sich die Erinnerungen zu einer Melange aus ländlichen Gegenden und städtischen Straßen vermengt. Ihr kam der seltsame Gedanke, sie sollte sich glücklich schätzen, dass Jeffers auf so sorgfältigen Notizen bestanden hatte, denn selbst mit ihrer neuen Präzision gerieten die Details ihrer Reise durcheinander.
    Draußen hörte sie Jeffers etwas summen. Das tat er, wie sie inzwischen wusste, wenn er einfachen Arbeiten nachging, die ihn befriedigten.
    Sie schloss das Notizbuch und die Augen und versuchte, sich zu erinnern. Sie wusste, dass in Chicago ein Vortrag über Richard Speck und die Krankenschwestern sowie die Theorie des Gendefekts von Mördern erfolgt war. Dünne, knochige Männer mit Akne und einer gehemmten sexuellen Entwicklung, hatte er gesagt. Er hatte das komisch gefunden und vor Lachen geprustet. Dann waren sie in die Außenbezirke gefahren und hatten einen Blick auf Wayne Gacys Haus geworfen, in dem der ehemalige Kinderclown die dreiunddreißig Jungen im Keller begraben hatte. Jeffers hatte sie aufgefordert, aus dem Auto zu steigen und sich vor das unscheinbare weiße Holzschindelhaus zu stellen. Dann hatte er sie in aller Eile fotografiert. Es hatte geregnet, und er hatte gesagt: »Bittelächeln«, während sie sich unglücklich und nervös an einen Baum geschmiegt hatte. Nord-Minnesota dagegen war trocken und heiß gewesen, und sie erinnerte sich an hellbraune Weizenfelder, die wie der Ozean wogten und ihnen unterwegs zuzuwinken schienen. Das war auf der Fahrt nach … Sie überlegte, der Name fiel ihr nicht gleich ein. Doch Jeffers hatte ihr erzählt, dass der irre Farmer, der seinen Opfern die Eingeweide entfernt und sie ausgestopft hatte, den Film
Blutgericht in Texas
inspiriert habe, der ihm, Jeffers, nicht gefallen habe, auch wenn er den Regisseur für seine Fähigkeit bewunderte, Angst durch Bilder auszudrücken. Sie hatte das nicht verstehen können, hatte ihn aber nicht gebeten, es zu erklären. Wenn Jeffers dozierte, was er häufig tat, dann hielt sie es für das Klügste, ihn reden zu lassen. Seltsamerweise war er für Fragen zugänglicher, wenn es um persönlichere Themen ging.
    Er ließ sie wissen, dass er an der Clutter Farm in Kansas vorbeifahren wollte, dass sie aber zu weit abseits ihrer Route liege, auch wenn ihr das seltsam erschienen war, da die Fahrt nach Minnesota länger war. Doch in der Nähe von Madison, Wisconsin, zeigte er ihr die Shopping-Mall, in der er eine junge Frau namens Irene aufgelesen habe, und er erzählte, ihr Tod sei einem Sexualmörder zugeschrieben worden, der in den späten siebziger Jahren die Malls und Universitätsgelände von Wisconsin fast ein Jahr lang unsicher gemacht hatte. In Ann Arbor zeigte er ihr eine Straße am Rande des Universitätsgeländes, auf der – in seinen

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