Der Fotograf
theatralischen Worten – sechs junge Frauen ihre letzte Fahrt unternommen hätten. Eine davon beanspruchte er für sich und sagte, das sei besonders leicht gewesen. Etwa acht Kilometer lang fuhr er auf einer Nebenstraße durch ein bewaldetes Gebiet, um schließlich das Tempo zu drosseln und mit dem Finger auf eine Stelle zuzeigen. Dort habe er das Opfer zurückgelassen, sagte er, etwa zweihundert Meter abseits von der Straße. »Den Campus-Killer nannten sie ihn. Das war 1982. Die Zeitungen haben ihm denselben Namen gegeben wie dem Kerl in Miami.«
Als sie nach South Bend weiterfuhren, hatte sie gedacht, es ginge um einen weiteren Campus-Mord, doch er hatte an einer Reihe unscheinbarer, bürgerlicher Häuser in einer ruhigen Allee angehalten. Auf jedem Rasen hatte sie Schilder mit der Aufschrift ZU VERKAUFEN gesehen. Sie brauchte nicht erst ihre Notizen zu konsultieren, um sich seine langatmige Beschreibung ins Gedächtnis zu rufen: »Also, das war interessant«, hatte Jeffers zu ihr gesagt. »Das wollte ich mit eigenen Augen sehen. Vor ziemlich genau einem halben Jahr. Die Familie dort auf der rechten Seite schien ganz normal zu sein. Mutter. Vater. Fünf Kinder und ein Bernhardiner. Einer der Teenager war wohl mächtig in die lokale Drogenszene verwickelt, was die Polizei einigermaßen in Atem hielt. Auf solche Informationen werde ich, schätze ich, einmal zurückgreifen. Na jedenfalls, auf der einen Straßenseite hast du es mit der typischen amerikanischen Familie zu tun, die am Sonntag Apfelkuchen backt: Die Kinder sind bei den Pfadfindern, und am Memorial Day wird die Flagge gehisst. Gegenüber läuft es … na ja, sagen wir, ein bisschen anders. Ein Kind. Von den Eltern misshandelt. Der Junge wird größer, und als Teenager hat er durchaus nicht zu Unrecht das Gefühl, verfolgt zu werden. Hat die Nachbarn noch nie ausstehen können. Dachte, die hätten alles, er nichts. Kennst du dich mit Psychologie aus? Na, jedenfalls würde mein Bruder dir erzählen, dass der Bengel eine paranoide Persönlichkeit entwickelt hatte und ein psychotischer Einbruch kaum vermeidbar wäre. Genau das ist dann auch passiert.
Unsere Muster-Amerikaner geben sich eines Morgens Abschiedsküsschen,sagen: Also dann, bis später, und machen sich mit ihren Lunchpaketen auf den Weg zu Arbeit und Schule. Der verdrehte Nachbar bricht mit der Fünfundvierziger seines Alten und ausreichend Patronen in das Haus ein. Zuerst knallt er den Bernhardiner ab und schleift den Kadaver in den Keller. Dann erledigt er die Familienmitglieder eines nach dem anderen, sowie sie nach Hause kommen, und verstaut sie im Keller. Dann verlässt er das Haus, bringt die Waffe seines Vaters wieder dahin, wo er sie hergeholt hat, und tut so, als wäre nichts gewesen. Und weißt du, was die Leute wirklich aufgeregt hat, ich meine, außer der Vorstellung, dass ein verrückter Mörder mitten unter ihnen war? Der Hund. Das Lokalblatt brachte drei Fotos auf der Titelseite, doch am größten brachten sie das Bild, auf dem die Rettungshelfer den Hund vors Haus tragen. Die Leser rasteten aus. Sie wollten den Kerl, der den Hund getötet hatte, lynchen. Was für ein Monster musste jemand sein, der einen großen, gutmütigen, wehrlosen – du weißt schon … darum drehten sich sämtliche Leserbriefe. Die Cops brauchten Wochen, bis sie herausgefunden hatten, dass der Irre von gegenüber das Verbrechen begangen hatte. Als sie ihn endlich kassierten, gestand er alles. Er war ziemlich stolz auf sich. Was mehr oder weniger zu erwarten gewesen war. Ich meine, schließlich war er hasserfüllt, und auf seine Weise hatte er das Problem gelöst. Wieso sollte er also nicht mit sich zufrieden sein? Außerdem hatte er noch nie etwas für Hunde übriggehabt.«
Anne Hampton nahm das Notizbuch Nummer zehn. Ziemlich weit hinten fand sie ihre Mitschriften zu diesem Verbrechen, einschließlich einer ausführlichen Zusammenfassung von Jeffers’ Monolog. Sie glich ihre hastig auf etwa sechs Seiten hingekritzelten Notizen mit ihrer Erinnerung ab und stellte fest, dass sie mehr oder weniger stimmten. Als sie jetztim Wagen saß, fiel ihr die eine oder andere Phrase ein, die sie nicht in ihren Notizen hatte, und schrieb sie an den Rand. Sie sah, dass sie den Witz, mit dem er seine Erzählung beendet hatte, wortwörtlich niedergeschrieben hatte: »Die Zeitung hätte ihn den Bernhardiner-Berserker nennen sollen.«
Als Jeffers die Motorhaube zuschlug, schreckte sie hoch.
Der Wagen vibrierte noch, als
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