Der Fotograf
vergebliche Mühe lustig. Es zuckte ihr in der Hand, und sie griff nach dem in Plastik gehüllten Stein aus der Olduvai-Schlucht. Ohne nachzudenken, ohne dass die blanke Wut, die in ihr tobte, einen klaren Gedanken zugelassen hätte, schleuderte sie, immer noch kniend, das Ding gegen das Foto an der Wand.
Durch das Klirren von gesplittertem Glas kam sie augenblicklich zu sich.
Sie schloss die Augen, holte ein paarmal tief Luft und blickte zur Wand. Der prähistorische Stein hatte das Konterfei von Douglas Jeffers, der immer noch aus sicherer Entfernung von der Wand heruntergrinste, verfehlt. Dafür hatte er ein anderes gerahmtes Bild getroffen, das heruntergefallen und zerbrochen war.
Sie seufzte tief und stand auf.
Und? Fühlst du dich jetzt besser?, fragte sie sich ironisch.
Sie tappte zu dem zersplitterten Bilderrahmen.
»Na schön, setz das auf die Rechnung«, meinte sie. Sie hatte nicht die Absicht, sauberzumachen. Sie stieß mit dem Fuß dagegen. Es war eine Farbaufnahme von einem Straßenaufstand. Ganz in der Ferne waren Rauch und Feuer zu sehen und im Vordergrund ein wildes Durcheinander von Polizisten, Feuerwehrleuten und ihren Fahrzeugen. Die Lichter schienen hypnotisierend ineinanderzufließen. Sie trat dagegen. »Guter Schnappschuss«, sagte sie. »Nicht unbedingt einer deiner besten, aber trotzdem verdammt gut.« Als sie sich gerade abwenden wollte, merkte sie, dass eine Ecke des Fotos weggeknickt war, weil sich nach dem Fall der Rahmen gelockert hatte.
Sie blieb stehen und sah genauer hin.
Sie konnte nicht genau sagen, was ihre Aufmerksamkeit erregte. Vielleicht war es der Kontrast zwischen den lebhaften Farben des Fotos und dem gedämpften Grau des Papiers dahinter. Sie war sich nicht sicher, was sie vor sich hatte, doch irgendetwas stimmte daran nicht. Sie versuchte, sich zu erinnern, ob sie schon einmal davon gehört hatte, dass jemand ein Foto über einem anderen rahmte, so wie manche Maler ein Bild auf Leinwand übermalen. Sie konnte sich nicht entsinnen, je von so etwas gehört zu haben.
Sie dämpfte ihre Hoffnung auf irgendeine Entdeckung und bückte sich, um den zerbrochenen Rahmen und das Foto aufzuheben. Sie ging zum Schreibtisch hinüber und legte es unters Licht. Sie überprüfte die weggeknickte Ecke. Sie tastete das Papier ab und stellte fest, dass es doppelt so dick war. Sie nahm das obere Foto zwischen die Finger und zog es vorsichtig zurück. Es gab etwas nach, so dass darunter ein schwarzgrauer Hintergrund zum Vorschein kam.
Sie strich über dieses untere Papier und fühlte die glänzende Oberfläche einer Fotografie.
Sie schnappte nach Luft.
Geh behutsam damit um, sagte sie sich.
Sie zupfte wieder an dem Foto, und es ließ sich langsam abziehen wie die Schale einer Orange.
Zentimeter für Zentimeter. Die beiden Lagen Fotopapier waren nicht fest miteinander verklebt. Sie bearbeitete sie vorsichtig mit den Fingern und achtete darauf, nichts zu zerreißen. Wenn es irgendwo festklebte, befeuchtete sie den Finger mit Spucke und löste das obere Bild sachte.
Erst als sie das ganze Foto abgelöst hatte, wagte sie einen Blick auf das andere darunter. Sie musste an das Gefühl denken, das ein Kind empfindet, wenn es den Schorf von einer Wunde löst – schmerzhaft, aber doch eine große Erleichterung.
Sie senkte den Blick und sah, dass unter dem Foto tatsächlich ein zweites steckte.
Sie ließ die Aufnahme von der Straßenschlacht fallen und starr te auf die zweite. Sie war schwarzweiß.
Als sie erkannte, was sie anblickte, entwich mit einem Schlag alle Luft aus ihrer Lunge.
Es war eine fast nackte Leiche.
Eine junge Frau.
Detective Barrens Hände zitterten. Augenblicklich merkte sie, wie ihr Schweiß auf die Stirn trat.
»Susan«, brachte sie heraus.
Doch dann sah sie genauer hin.
Die junge Frau hatte stämmigere Beine. Kürzeres Haar. Sie lag in einer anderen Stellung als die, in der ihre Nichte gefunden worden war. Und das Unterholz, das der Blitz aus der Dunkelheit schnitt, unterschied sich von den Palmwedeln inFlorida. Das Mädchen auf dem Foto schien im Laub eines nördlichen Waldes zu liegen. Detective Barren hatte das Gefühl, als drehte sich alles in ihrem Kopf, und von der Anstrengung, ihre Vorstellungskraft im Zaum zu halten, wurde ihr beinahe schwindelig. Die Züge der jungen Frau waren vollkommen anders als die ihrer Nichte.
»Das ist nicht Susan«, stellte sie fest.
Für den Bruchteil einer Sekunde fühlte sie sich geschlagen. Das ist nur eins von vielen
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