Der Fotograf
er neben ihr auf den Fahrersitz sprang und sagte: »Es wird Zeit für uns. Wir haben noch eine ganze Strecke vor uns, bis wir uns aufs Ohr hauen können.«
Dann fragte er: »Hast du was für Rennen übrig?«
»Was für Rennen?«
»Autorennen.«
»Ich weiß nicht, ich war noch bei keinem.«
»Sie sind laut. Heulende Motoren, kreischende Reifen. Alle möglichen Gerüche, Benzin und Öl, Sonnenmilch und Popcorn auf den Zuschauerrängen. Wird dir gefallen.«
Sie nickte. Er sah auf die Uhr. »Wenn wir die ersten Runden nicht verpassen wollen, müssen wir los. Kannst du dich nicht erinnern, wie du im Sommer im Kabrio eines Jungen Radio gehört hast und auf einmal kommt diese verrückte, schrille Werbung dazwischen …«
Er wechselte zur scheppernden Stimmlage eines Radiosprechers: »Sonntag! Sonntag! Beim phantastischen Aquasco Speedway! Dragster! Funny Cars mit Einspritzmotoren! Sonntag! Schaut euch an, wie Big Daddy sich in einem Entscheidungskampf über drei Rennen mit dem Okie aus Fenokee anlegt! Sonntag! Seht euch Bad Mama mit ihrem zweitausend PS-Düsenmotor an! Sonntag! Noch sind Tickets zu haben! Sonntag!«
Sie lächelte. »Ich erinnere mich«, meinte sie. »Aber die Rennstrecke klang anders.«
»Aquasco liegt in der Nähe von New York, auf Long Island,glaube ich. In New Jersey haben wir dieselbe Werbung für Freehold Raceway gehört. Und im Sommer ist die Familie nach Cape Cod raufgefahren, und dort hat man Werbung für den Seenonk Speedway gemacht, kurz hinter Providence. Mein Bruder und ich konnten das ganz gut imitieren, und wir haben abwechselnd gebrüllt: ›Seht euch die phantastischen Funny Cars an! Dragsters mit Einspritzmotor! Sonntag! Sonntag! Sonntag!‹«
Sie schwieg.
»Ich hatte vergessen, welchen Tag wir heute haben.«
»Für die meisten ein Tag des Müßiggangs. Aber nicht für uns. Gibt jede Menge Arbeit.«
Damit fuhr er auf die Interstate.
Es war bereits Mittag, als sie die Ausfahrt zur Rennstrecke erreichten. Den Morgen hindurch war die Autobahn fast leer gewesen, und Jeffers fuhr gemächlich, ein wenig unterhalb des Durchschnittstempos der Achtzehnachser, die an ihnen vorüberrasten und mit ihrem gewaltigen Diesellärm alles zu zermalmen drohten, das ihnen in die Quere kam, während sie den Wagen mit dem Sog des Fahrtwinds durchschüttelten. Lastwagenfahrer, die am Sonntagmorgen unterwegs sind, stehen grundsätzlich unter Termindruck, dachte Jeffers. Sie haben sich den Griff eines Besenstiels unter das Gaspedal geklemmt, ein paar Black Beautys mit Kaffee runtergespült und würden dich ebenso ungeniert überfahren wie dich überholen.
Er kam an zwei Polizisten des Bundesstaates Pennsylvania mit einer Radarfalle vorbei und beschloss, sich vor der nächsten längeren Fahrt einen von diesen ultramodernen Radardetektoren zuzulegen, die mehrere Frequenzen des Polizeifunks lesen konnten. Er überlegte, ob er vielleicht nach Miamirunterfliegen sollte, um ein Geschäft zu besuchen, von dem er durch einen Kollegen gehört hatte, der von einer Reise nach Kolumbien – Recherchen für eine Reportage über einen Drogenring – zurückgekehrt war. Der Laden werde von diesen Typen gern frequentiert, erzählte er. Das Geschäft hatte sich auf Überwachungstechnik und die neueste Elektronik spezialisiert. Vorrichtungen zum Beispiel, mit denen man prüfen kann, ob das eigene Telefon abgehört wird. Geräte, mit denen man aus fünfzig Metern Entfernung den Motor seines Wagens anlassen kann. Perfekt für Leute, die sich vielleicht darüber sorgen, ob sie, wenn sie den Schlüssel drehen, vielleicht nicht nur den Motor zünden. Nachtsichtgläser und abhörsichere Funkgeräte.
Jeffers konnte nicht genau sagen, was er für seinen eigenen Bedarf in dem Laden finden würde, doch er dachte: Wir stehen an der Schwelle zu einem noch stärker technikorientierten Zeitalter, und es ist wichtig, auf dem Laufenden zu bleiben. Die Polizei jedenfalls folgte dieser Devise. Dann wurde ihm bewusst, dass dies eine defätistische Einstellung war. Seine ganze Vorgehensweise ging von der Prämisse aus, dass die Polizei niemals nach ihm suchen würde.
Ich bin unsichtbar, dachte er.
Anonym. Ganz und gar.
Und dadurch bin ich vollkommen sicher.
Er warf einen Blick auf Anne Hampton und sah, dass sie offenbar döste. »Boswell?«, flüsterte er, doch sie antwortete nicht. Er beschloss, sie schlafen zu lassen.
Sie wird ihre Kraft noch brauchen. Er dachte an das Wegstück, das vor ihnen lag, und stellte fest, dass
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