Der Fotograf
aufrichtete, knickten ihre Knie ein, und Jeffers musste sie auffangen.
Einen Moment lang starrte er sie unerbittlich an.
»Ahh«, meinte er schließlich ein wenig amüsiert, doch mit einem schrecklich berechnenden, kalten Unterton, den sie seit St. Louis nicht mehr gehört hatte. »Du ahnst also, dass wir nicht nur hergekommen sind, weil wir Autorennen lieben …«
Er führte den Satz nicht zu Ende. Stattdessen packte er sie am Arm und nahm sie mit zum Kofferraum.
Zuerst zog er zwei khakifarbene Fotografenwesten aus einer Tasche. Eine streifte er ihr über, die andere sich selbst. »Passt gut«, meinte er. Dann nahm er ein halbes Dutzend Schachteln mit Filmen aus einer Kiste und steckte die Döschen in die Schlaufen an ihrer Brust. Schließlich hängte er ihr eine Kameratascheum den Hals. »Das hier«, erklärte er, indem er ein langes, schwarzes Objektiv zur Hand nahm, »ist, wie man sehen kann, das Teleobjektiv.« Er steckte es wieder in die Tasche. »Dieses kürzere ist das Weitwinkelobjektiv. Wenn ich dich um eins davon bitte, oder auch um die Kamera, dann reichst du es mir wie jemand, der sich damit auskennt.« Er hängte sich zwei Kameras um den Hals. Eine steckte in einem Brustgurt, direkt unter seinem Kinn, die andere hing lose.
»Also dann«, sagte er. Aus seiner Tasche zog er einen Stoß kleiner weißer Visitenkarten. Er öffnete die Brusttasche an ihrer Weste und steckte sie hinein. »Die verteilst du an jeden, der darum bittet.« Er zog eine heraus und zeigte sie ihr. Sie las:
JOHN CORONA
BERUFSFOTOGRAF
Mitarbeiter bei
Playboy
,
Penthouse
und anderen Publikationsorganen
Diskrete Arbeit ist unsere Spezialität
Geschäftsanschrift:
1313 Hollywood Boulevard, Beverly Hills
Tel: 213-555-6646
»Der Name ist ein Insider-Witz«, grinste Douglas Jeffers, »besonders für Kalifornier. Du nennst mich natürlich Mr. Corona. Oder auch John, wenn du das passender findest. Du bist meine Assistentin. Ich werde dich vorstellen. Hör einfach gut zu, und du wirst schnell genug alles verstehen. Können wir?«
Sie nickte.
»Geht es wohl bitte etwas lauter?«, fragte er unfreundlich.
»Ja«, erwiderte sie prompt.
»Kann ich das noch einmal haben, diesmal ohne diesen Angsthasenton?«
Sie schluckte schwer. »Ich bin so weit«, antwortete sie fest.
»Gut.« Er sah sie mit strenger Miene an. »Sollte eigentlich nicht nötig sein, dich an diese Dinge zu erinnern.«
»Ich werde gut sein«, versicherte sie.
»Überzeuge mich davon.«
Das war weniger eine Aufforderung als eine Drohung. Sie nickte.
Douglas Jeffers drehte sich um, und sie stolperte ihm hinterher.
Auf halbem Weg über den Parkplatz nahm Jeffers seinen Monolog wieder auf, auch wenn er nicht ganz bei der Sache schien.
»Ich hab mich immer wieder gefragt, weshalb wir von bestimmten Verhaltensweisen bei Tieren so verblüfft sind. Wir können nicht verstehen, wieso die Lemminge sich ins Meer stürzen. Wissenschaftler brüten jahrelang über der Frage, wieso Grindwale wie aus heiterem Himmel an den Strand schwimmen und sich zu Tode grillen lassen – ein schrecklicher Abgang, wenn man drüber nachdenkt. Tierschützer schleppen die Geschöpfe ins Wasser zurück, und die dämlichen Viecher stranden in neun von zehn Fällen zum zweiten Mal. Dabei sind sie intelligent. Und gesund.
Hab mal ein paar davon an der Küste von North Carolina für
Geo
fotografiert, die übrigens gut bezahlt haben und prompt eingegangen sind. Aber die Wale waren prächtig. Sie sind pechschwarz und strotzen vor Kraft, ihre Körper sehen aus wie riesige, stumpfe Geschosse. Im Meer kommunizieren sie mit einer Art Sonar; sie geben Töne von sich, die wir als Menschen nur elektronisch nachahmen können und die über große Entfernungen hinweg wahrzunehmen sind. Sie sind eine uralte,stolze Spezies, verwandt mit den größten Säugetieren. Was treibt sie also dazu, gelegentlich einen mysteriösen Massenselbstmord zu begehen? Welchen Grund haben sie dazu? Sind sie krank? Haben sie sich verirrt? Sind sie desorientiert? Handelt es sich um Massenhysterie? Geisteskrankheit? Langeweile? Weshalb werden sie lebensmüde? Ergibt wenig Sinn.
Aber sie tun es. Und oft genug, um Aufmerksamkeit zu erregen und Bestürzung zu erzeugen. Nicht anders als bei den Menschen.«
Er schien in seine Gedanken versunken zu sein.
»Hast du eine Ahnung, wie oft Menschen absichtlich stranden? Ich meine nicht den einsamen, verzagten Typ, den klinisch Depressiven und offensichtlich Suizidgefährdeten. Davon gibt es
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