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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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des TWA-Flugs. Die haben doch wahrhaftig eine Pressekonferenz abgehalten, ist das zu fassen? Absurder geht’s nicht. Kriminelle, die das Licht der Öffentlichkeit suchen, noch während das Verbrechen im Gange ist, und es auch bekommen. Und wir waren hautnah dabei. Allein darauf kommt es an.«
    Wieder zögerte er.
    »Das Nachrichtengeschäft läuft auf die alte Volksweisheit vom Fällen eines Baumes im Wald hinaus: Wenn der Baum mit Getöse herunterkracht und es dennoch keiner hört, hat es dann ein Geräusch gegeben oder nicht? Wenn tausend Indianer im Regenwald sterben und wir nicht darüber berichten, hat es dann stattgefunden oder nicht?«
    Jeffers lachte laut auf. Zunächst klang es wütend, dann befreit.
    »Ich bin manchmal so öde, dass du mich eigentlich längst dafür hättest umbringen müssen.«
    Wieder lachte er.
    Sie wusste, dass sie ein niedergeschlagenes Gesicht machte.
    »Guck nicht so trübselig, Boswell, wir sind bald am Ende. Das war ein Witz.«
    Er lächelte.
    »Oder nicht? Armer Boswell. Manchmal kann sie meine Witze überhaupt nicht komisch finden. Und ich kann es ihr nicht verübeln. Aber tu mir den Gefallen und schenk mir ein kleines Lächeln, ein klitzekleines Lachen.«
    Letzteres war ein Befehl.
    Sie gehorchte auf der Stelle und fand den Laut, den sie herausbrachte, widerwärtig.
    »Nicht sehr überzeugend, Boswell, aber ich weiß es trotzdem zu schätzen.«
    Er verstummte.
    »Arbeite dran, Boswell. Arbeite an all den kleinen Dingen im Leben, die uns daran erinnern, wer wir sind. Konzentrier dich, Boswell. Ich denke, also bin ich. Ich lache, also bin ich … Wenn ich lache, atme ich. Wenn ich lächle, empfinde ich. Wenn ich denke, existiere ich.«
    Er richtete den Blick auf die Straße.
    »Boswell lebt fort«, sagte er.
    Sie merkte, wie sich ihr vor Verzweiflung das Herz zusammenzog.
    »Aber Douglas Jeffers auch.«
     
    Er blickte aufmerksam durch die Windschutzscheibe und bog in eine kleine, zweispurige Straße ab. Der Abend legte sich über die warmen Grün- und Brauntöne der Berge von Vermont, die an ihnen vorüberflogen, und nur gelegentlich durchdrang ein blasser, letzter Lichtstrahl die Dämmerung. Sie ließen die Quechee-Schlucht hinter sich, die auf der Straße nach Woodstock liegt, und er sah, wie Anne Hampton sich den Hals verrenkte, um vom Auto aus den Steilhang zu sehen.
    Er fuhr durch die stillen Straßen. Anne Hampton sah adrette weiße Holzschindelhäuser hinter weitläufigen Rasenflächen, mit weinbewachsenen Gartenlauben inmitten kleiner Blumengärten.
    »Siehst du«, er wies auf eine karge weiße Kirche, die sich vom grünlichen Dunkel des nächtlichen Vermont absetzte, »siehst du, wie entspannend das ist? Wer käme auf den Gedanken, dass in einer solch kleinen, wohlbehüteten Stadt des Nachts solche Schrecken lauern?«
    Er stellte den Wagen ab.
    »Nun denn«, meinte er, »auch wer Angst und Schrecken verbreitet, hat mal Hunger.«
    Er sah Anne Hampton an.
    »Das war ein Witz«, beruhigte er sie.
    Sie zwang sich zu einem Lächeln.
    »Aber der beste Humor basiert immer auf der Realität.«
    Er nahm sie bei der Hand und führte sie in ein Restaurant. Es war schön und anheimelnd warm, von Kerzenlicht erleuchtet. Es roch nach frischem Essen, und von der Mischung aus unterschiedlichen Empfindungen wurde ihr schlecht.
    Was soll das Ganze?, fragte sie sich.
    Was ist los?
    Wieso sind wir hier?
    Wieso scheint alles so stinknormal, obwohl es alles andere als das ist?
    Was passiert mit mir?
    Dieser letzte Gedanke schrie sie förmlich an. Sie konnte sich kaum auf den Beinen halten. Ich stehe hier und warte darauf, dass mir in einem eleganten Restaurant in einer schönen Stadt ein Platz angewiesen wird. Verkehrte Welt. Nichts ist so, wie es sein sollte. Was soll das Ganze?
    Wieder durchfuhr sie eine Woge der Übelkeit.
    »Ich könnte Berge verdrücken«, erklärte Douglas Jeffers.
    Sie aßen still, ausgiebig und freudlos. Jeffers bestellte Wein und starrte, während er an seinem Glas nippte, über den Rand hinweg Anne Hampton an. Sie sah, wie sich das Licht im Glas spiegelte.
    Nachdem er bezahlt hatte, nahm Douglas Jeffers Anne Hampton beim Arm und führte sie im Dunkeln um den Anger herum. Sie merkte, dass sie zitterte. Die Wärme des Tages war gewichen und hatte den ersten Vorboten des Herbstes Platz gemacht.
    »Still«, sagte er. »Friedlich.«
    Sie sah nicht den geringsten Grund zu entspannen. Es kostete sie genügend Willenskraft, ihren Arm locker auf seinem ruhen zu lassen. Sie

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