Der Fotograf
los, während sie sich beeilte, Schritt zu halten.
13. KAPITEL
Eine außerplanmäßige Sitzung der Lost Boys
18.
Detective Mercedes Barren wartete ungeduldig in Martin Jeffers’ Sprechstundenzimmer. Bei dem Gedanken an den Zeitverlust litt sie Höllenqualen. Es hielt sie nicht auf ihrem Stuhl. Jedes Mal, wenn sie sich setzte, zuckte es wie ein wütender Stromschlag durch ihren ganzen Körper und erinnerte sie daran, dass der Killer nicht irgendwo die Beine auf den Tisch gelegt hatte und auf sie wartete. Er ist da draußen, hämmerte es in ihrem Kopf, fast zum Greifen nahe. Er tut gerade etwas. Die Bilder, die sie in seiner Wohnung gestohlen hatte, wirbelten ihr im Kopf herum. Sie verzog das Gesicht und dachte: Die werde ich nie vergessen. Sie werden mich mein Leben lang verfolgen.
Während sie sich müde die Augen rieb, kam ihr eine Lektion aus den ersten Tagen an der Polizeiakademie in den Sinn. Ein FBI-Agent hatte zahlreiche Kriminalitätsstatistiken vor ihnen ausgebreitet. Mit sonorer Stimme und der Unterstützung tickender Uhren hatte er ihnen verdeutlicht, wie oft in wie viel Sekunden in den USA ein bewaffneter Überfall, ein Einbruch oder ein Mord passiert. Zweiundzwanzig Uhr, dachte sie: ImGhetto endet ein Würfelspiel mit einer Messerstecherei; dreiundzwanzig Uhr: ein Ehestreit in einem Vorortviertel eskaliert zu einem Schusswechsel; Mitternacht: Douglas Jeffers lockt mit Süßholzraspelei die nächste Frau in sein Auto. Sie hätte am liebsten einen Gegenstand gepackt und heftig geschüttelt. Sie wollte etwas zerschmettern, sie wollte es scheppern und krachen hören. Die beharrliche Stille brachte sie noch um den Verstand. Sie konnte sich nur damit trösten, im Zimmer auf und ab zu laufen, in ihren Papieren zu kramen und sich vor Augen zu führen, was bereits geschehen war und was noch geschehen würde. Sie wappnete sich für die Konfrontation.
Es wird dazu kommen, sagte sie sich.
Und ich werde bereit sein.
Sie sah sich als Krieger, der sich auf die Schlacht vorbereitet. Mercedes Barren entsann sich, dass Achilles sich vor dem Kampf mit Hector am ganzen Körper eingeölt hatte. Er hatte gewusst, dass er gewinnen würde, denn es war ihm vorherbestimmt, doch ebenso hatte er gewusst, dass mit dem Sieg an diesem Tag auch sein eigenes Ende nahte. Wie gewonnen, so zerronnen, dachte sie. Sie schob den Gedanken beiseite. Das soll dir nicht passieren. Im Mittelalter beteten die Ritter vor einem Kampf und flehten Gott um Führung an, aber du weißt, was du zu tun hast. Niemand, nicht einmal der Himmel, braucht dir zu sagen, was du zu tun hast. Sicher, der mythische Ritter Roland war halsstarrig gewesen; er hatte partout nicht ins Horn blasen wollen, und es kostete seinen Freund wie ihn selbst das Leben. Dafür errang er Unsterblichkeit. Sie schmunzelte: Keine gute Idee. Doch dann fragte sie sich: Bist du auch nur einen Deut besser? Sie weigerte sich, die Frage zu beantworten. Sie dachte an die Rituale der Samurai und den Geistertanz der Prärieindianer. Der Geist kam über sie, undsie glaubten, dass die Kugeln der Soldaten zu Pferde durch sie hindurchgehen würden. Leider sollten sie recht behalten, nur dass sie dabei ihr Leben ließen, was ihnen keiner gesagt hatte. Sitting Bull war alt und weise, er wusste es und kämpfte doch.
Sie überlegte, ob wohl John Barren vor dem Gefecht irgendetwas Besonderes getan hatte. Hatte er sich mit größerer Sorgfalt angezogen, wie ein abergläubischer Athlet, der bei jedem Wettkampf dieselben Socken trägt, um nicht den Gott zu erzürnen, der zum Sieg führt und vor Verletzungen schützt? Sie nahm es an. Er war ein Romantiker, voller alberner Vorstellungen von Ritterlichkeit und allen möglichen Mythen, die wohl selbst vor Vietnams Sumpf und Morast nicht haltgemacht hatten. Ihr huschte ein Lächeln über die Lippen, als ihr die zerfledderte Ausgabe von
Der König auf Camelot
einfiel, die man ihr zusammen mit seinen übrigen Sachen zugeschickt hatte und die ihr die Tränen in die Augen trieb, nachdem bereits Wochen zuvor überführt worden war, was von ihm selbst übrig war.
Sie hätte gern gewusst, was er an dem Tag, an dem er starb, falsch gemacht hatte. Vielleicht hatte er einen bestimmten Zauber, ein Amulett oder dergleichen vergessen? Hatte er in seiner Kleiderordnung einen winzigen, doch tödlichen Fehler begangen? Was hatte er getan, um die prekäre Balance des Lebens zu stören?
Und hatte er es gewusst, als er mit weit geöffneten Augen und hellwachen Sinnen
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