Der Fotograf
Das läuft auf dasselbe hinaus. So etwas sprengt die Fesseln. Jemand stirbt, und es steht dir frei, du selbst zu sein. Es ist ganz einfach. Es ist beschissen einfach. Suchen Sie nach einem Tod.«
Das erste Bild, das in seinem Kopf aufblitzte, war die Dunkelheit, die in jener Nacht, als sie in New Hampshire ausgesetzt wurden, in den Bäumen nistete. Ich war da, sagte er sich, ich bin an den Ort des Geschehens zurückgekehrt, aber er war nirgends zu finden! Da hätte er sein müssen, war er aber nicht.
Doch dann drängte sich ein anderes Bild in sein Bewusstsein.
Von einer anderen Nacht.
Und nicht von einer Trennung, sondern einem Tod.
Er ließ den Kopf in die Hände sinken, ohne darauf zu achten, dass die Männer im Raum immer stiller wurden.
Ich weiß, wo, gestand er sich ein.
Ich weiß, wohin mein Bruder will.
Jeffers hob den Kopf und blickte zur Decke; er hatte das Gefühl, als kreiste die weiße Farbe – nur für einen kurzen Moment, so dass ihm ein wenig schwindelig wurde. Wie konntest du das übersehen?, fragte er sich. Es schreit danach. Es liegt auf der Hand. Wieso warst du so blind? Wut, Trauer, Hoffnung und Verzweiflung fluteten alle auf einmal durch seinen Körper. Ihm war klar, wohin er musste, und zwar sofort. Er hatte plötzlich das Gefühl, als raste ihm die Zeit davon, und er fühlte sich unter dem Druck wie in einem Schraubstock. Er atmete langsam aus und riss sich zusammen. Er starrte dieMänner an, die ihn mit glühenden, gespannten Blicken musterten.
»Danke!«, sagte er.
Er stand auf.
»Es wird keine Sitzungen geben, nicht in den nächsten Tagen. Schauen Sie bitte ans Schwarze Brett der Station, um zu erfahren, wann sie wieder anfangen. Nochmals vielen Dank.«
Er sah, wie eine Woge zorniger Enttäuschung durch die Runde ging. Sie sind neugierig, dachte er. Sie lieben Klatsch und sind gerne eingeweiht. Er würde sich nicht entschuldigen. Stattdessen ignorierte er das Gemurmel und aufgeregte Getuschel in der Gruppe, während er sich kopfüber in die dunkelsten Nächte seiner eigenen Erinnerungen stürzte. Ich weiß es, sagte er noch einmal in Gedanken. Ich weiß es.
Er dachte an die Polizistin, die in seinem Sprechzimmer auf ihn wartete.
Sie wird Ausschau halten. Sie wird jede Veränderung registrieren.
Der Gedanke machte ihn entsetzlich traurig.
Dann drehte er sich um und verließ ruhig den Raum. Als er die Tür zuzog, hörte er das Durcheinander aufgeregter Stimmen. Er verdrängte die Lost Boys aus seinem Bewusstsein und konzentrierte sich ganz auf die entscheidenden kommenden Stunden. Er wappnete sich innerlich. Sei auf der Hut. Lass dir nichts anmerken, schärfte er sich ein. Lass dir absolut nichts anmerken.
Martin Jeffers trat entschlossen von der Tür weg, und die Stimmen verhallten. Auf seinem Weg durch die Stationen beschleunigte er seinen Schritt. Erst ging er zügig, dann marschierte er, dann rannte er, so dass seine Schuhe auf dem Linoleum trommelten. Er ignorierte die erstaunten Blicke von Pa tienten und Mitarbeitern, als er zuletzt einen Sprint einlegteund, vor Anstrengung keuchend, alles außer der einen Gewissheit in seinem Kopf vergaß. Ich weiß es, wiederholte er immer wieder, ich weiß es.
Als er den Flur erreichte, an dem sein Sprechzimmer lag, drosselte er sein Tempo zu einem Laufschritt. Er blieb stehen, um Luft zu holen, und dachte wieder an Mercedes Barren. Dann beruhigte er seine Atmung und ging die letzten vierzig Meter in normalem Tempo, während er sich überlegte, wie er am besten unbemerkt verschwinden konnte.
Detective Barren stand am Fenster und starrte hinaus, als Martin Jeffers den Raum betrat.
Er kam ihr zuvor: »Irgendwas Neues?«
Sie zögerte. »Das wollte ich Sie fragen.«
Er schüttelte den Kopf und mied eine Sekunde lang ihren Blick. Er riss sich zusammen. Schau sie an, befahl er sich. Also hob er den Kopf, während er sich hinter den Schreibtisch setzte.
»Nein«, erwiderte er. »Ich habe nichts gehört. Ich habe in der Zentrale Bescheid gegeben, sie sollen mich anpiepsen, sobald ein Anruf für mich kommt, selbst während der Sitzungen. Bis jetzt nichts.«
Detective Barren sackte auf einen Stuhl ihm gegenüber.
»Und bei Ihnen zu Hause?«
»Ich hab den Anrufbeantworter eingeschaltet.« Er nahm sein Telefon und öffnete die Schreibtischschublade, um eine kleine Vorrichtung herauszuholen. »Der hat eins von diesen Wiedergabe-Dingsbums«, erklärte er. »Wir können ihn abhören.« Er wählte seine Privatnummer und hielt das
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