Der Fotograf
setzte einen Fuß auf den Bürgersteig.
»Egal«, meinte sie. »Roastbeef, Käse mit Schinken oder auch Thunfisch. Kein Cornedbeef. Ein protestantisches Sandwich sozusagen. Kein Senf, viel Mayonnaise.«
Er lachte.
»Und irgendeinen Salat, falls es einen gibt.«
»Kein Problem.«
Er sah auf die Uhr.
»Also«, sagte er, »kommen Sie um sechs. Sehen wir zu, dass wir die Sache ins Rollen bringen.«
Sie nickte. »Keine Sorge, bis dann.«
»Ja«, erwiderte er.
Er sah ihr hinterher, bis sie durch die Eingangstür in der Lobby verschwand. Die Banalität seines Plans, vermutete er, war wohl das stärkste Element daran. Sie war so auf den Gejagten fixiert und auf das Böse, das er verkörperte, dass sie die viel banalere Möglichkeit außer Acht ließ, der Bruder könnte sie hinters Licht führen wollen. Tritt zur Obsession noch Erschöpfung hinzu, muss man mit Überraschungen rechnen. Einen Moment lang bereute er seinen Verrat. Sie bringt mich um, dachte er. Als Nächstes wurde ihm bewusst, dass die Redewendung, die ihm automatisch in den Sinn gekommen war,durchaus wörtlich zu nehmen sein könnte. Sie könnte es tatsächlich tun.
Nun mach aber mal einen Punkt, wies er sich zurecht.
Er fuhr aus der Parklücke auf die Straße. Nicht erst nach Hause. Du musst dich nicht umziehen oder dir die Zähne putzen oder weiß der Himmel was. Fahr los, und zwar jetzt. Er ließ vernehmlich die Luft aus seiner Lunge entweichen und dachte an sein Reiseziel. Wenn ich mich beeile, erwische ich vielleicht noch die letzte Fähre. Er konnte die Vorstellung nicht abschütteln, wie die Polizistin reagieren würde, wenn sie sein Verschwinden entdeckte. Er rechtfertigte sein Verhalten: Hier geht es darum, Leben zu retten. Das meines Bruders. Das der Polizistin. Meins.
Trotzdem, dachte er wieder, wird sie wütend genug sein, um mich auf der Stelle zu erschießen, sobald sie mich wiedersieht. Es kam ihm nicht in den Sinn, dass sein Bruder vielleicht dasselbe dachte.
Martin Jeffers verbannte die Zweifel aus seinem Kopf und kämpfte sich, so schnell er konnte, durch den Spätnachmittagsverkehr.
Detective Mercedes Barren trat nackt aus der Dusche und trocknete sich ab. Nachdem sie ihre Haut rotgerubbelt hatte, wickelte sie sich das weiße Badetuch ums Haar und ließ sich aufs Bett fallen. Das prasselnde Wasser, aber auch der kurze Moment, den sie mit sich allein sein konnte, hatten sie erfrischt. Sie räkelte sich und spürte, wie sich ihre Muskeln dehnten und entspannten. Sie legte sich auf den Rücken und strich sich mit den Händen über den Körper. Sie fühlte sich wund, als wäre sie in einen Unfall oder Kampf verwickelt gewesen und hätte dabei innere Verletzungen davongetragen, die sich unter der Haut verbargen. Sie schloss die Augen undmerkte, wie eine bleierne Müdigkeit an ihr zerrte. Sie wehrte sich dagegen und machte erst ein Auge, dann das zweite auf; sie blinzelte ein paarmal kräftig, um ihrem Körper die Forderung nach Ruhe auszutreiben. Sie redete sich gut zu und beschwor die letzten Reste Energie, die sie noch in Nerven, Muskeln und grauen Zellen hatte, ihr noch ein Weilchen zu gehorchen, dann würden sie bekommen, was sie brauchten, und zwar reichlich.
Nur jetzt noch nicht. Sie nahm alle Willenskraft zusammen und richtete sich auf. In geradezu preußischer Disziplin schleuderte sie ihren Armen und Händen Befehle entgegen: Hol frische Kleider. Zieh sie an. Sieh zu, dass du rauskommst.
Immer noch im Zwist mit ihrem widerstrebenden Körper, zog sie Jeans und Sportshirt an. Sie nahm sich Zeit für eine ordentliche Frisur und ein bisschen Make-up. Sie hatte das Bedürfnis, nicht gar so mitgenommen auszusehen, wie sie sich fühlte. Sie weigerte sich, der Frustration nachzugeben. Schließlich sah sie in den Spiegel. Na ja, dachte sie trotzig, vielleicht nicht gerade die Frischste, aber zumindest bereit zu gehen.
Sie warf einen Blick auf die roten Ziffern des Digitalweckers auf dem Nachttisch. Dann bin ich eben ein bisschen zu früh dran, dachte sie, dann machen wir uns eben umso schneller an die Arbeit.
Sie fuhr langsam durch die länger werdenden Schatten, ließ die Kleinstadt hinter sich und manövrierte sich durch den Vorstadtverkehr bis zum Wohnhaus des Arztes in Pennington. Sie musste an John Barrens Meinung über New Jersey denken. Er hatte den Bundesstaat immer geliebt, weil kein anderer so viele gegensätzliche Lebensformen in sich vereinte: das arme, heruntergekommene Newark gegen den unglaublichenReichtum von
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