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Der Fotograf

Der Fotograf

Titel: Der Fotograf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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heftiges Herzklopfen hatte und schwitzte.
    Es dauerte fast eine Stunde, bis die richtigen Pappkartons gefunden waren. »Abgeschlossene Fälle bedeuten scheißversiegelte Schachteln. Ich bin dazu nicht verpflichtet, wissen Sie.«
    »Ich weiß, ich weiß. Officer, ich weiß, das ist ein wirklich großer Gefallen, und ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich Ihre Hilfe zu schätzen weiß.«
    »Trotzdem, ich will nur, dass Sie verstehen, dass ich das nicht machen muss.«
    »Ich verstehe«, beteuerte sie.
    Sämtliche Kartons waren durchnummeriert. Die jeweils erste Ziffer stand für das Jahr, in dem ein Verbrechen begangen worden war; es folgte die Fallnummer des jeweils ermittelnden Dezernats. Einbruchsdelikte, Körperverletzung, Vergewaltigungen und Morde bildeten eine bunte Mischung – mit dem einzigen Unterscheidungsmerkmal, ob ein Fall abgeschlossen war oder nicht. Sie ließ den Blick über die Regale schweifen und hatte das Gefühl, dass ihr eine Tragödie entgegenblicken musste, sobald sie den Deckel irgendeiner Schachtel öffnete.
    »Du liebe Güte, ich wusste es. Natürlich ganz oben. Ich geh und hol die verfluchte Leiter.«
    Sie wartete reglos während er den Karton herunterholte.
    »Und jetzt müssen Sie das hier gegenzeichnen, wenn Sie das Ding aufmachen wollen …« Er hielt ihr ein vorgedrucktes Formular hin, das sie blind unterschrieb. Er warf einen prüfenden Blick darauf und hob den Kopf. »Ich muss eigentlich zusehen, selbst bei den verdammten abgeschlossenen Fällen. Aber scheiß drauf. Sie brauchen was aus dem Ding? Na los, schnappen Sie sich’s.«
    Damit stapfte der Mann davon, ohne etwas von seiner Angriffslusteingebüßt zu haben, und Detective Barren hatte immer noch keine Ahnung, woher seine Frustration rührte. Sie starrte auf die Beweismittelbox. Auf dem Deckel klebte ein Blatt mit einer Liste des Inhalts sowie der Auskunft, dass Sadegh Rhotzbadegh sich schuldig bekannt hatte und zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden war. Am oberen Rand befand sich ein Stempel mit dem Vermerk: ABGESCHLOSSENER FALL.
    Wir werden ja sehen, dachte sie.
    Sie zog ihr Taschenmesser heraus und schnitt das Klebeband auf, mit dem der Karton verschlossen war. Behutsam, als ginge es darum, den Staub, der sich dort angesammelt hatte, nicht unnötig aufzuwirbeln, öffnete sie den Deckel. Sie unterdrückte die Erregung, indem sie sich immer wieder ins Gedächtnis rief: Das ist nur der erste Schritt.
    Sie fasste hinein und holte das gelbe Schildchen heraus. Es steckte in einer Plastikhülle. Als sie es in ihre Handtasche steckte, bemerkte sie die Reste des Pulvers von der Untersuchung auf Fingerabdrücke. Die haben nach jedem Strohhalm gegriffen, dachte sie. Nur selten gelingt es, von Papier Abdrücke zu nehmen. Sie warf noch einmal einen Blick in die Schachtel und überlegte, ob sie noch etwas anderes mitgehen lassen sollte, schüttelte dann aber den Kopf und schloss den Karton.
    Sie schwebte an dem bärbeißigen Beamten vorbei. »Danke für Ihre Hilfe. Falls ich noch etwas brauche, komme ich wieder.«
    »Sicher«, sagte er in einem Ton, der das Gegenteil signalisierte.
     
    Als sie aus der Asservatenkammer trat, war es später Vormittag. Sie zügelte ihre Phantasie und gestattete sich nicht, dieInformationen auszuwerten. Ein Schritt nach dem anderen, schärfte sie sich ein. Einen Moment lang hatte sie das Gefühl zu siegen. Sie dachte nicht an ihre Nichte, verband den verstaubten Karton oder auch das gelbe Stück Papier in der Plastikhülle nicht mit Susan und mit ihrer Erinnerung an den Leichenfundort. Stattdessen richtete sie den Blick auf die ferne Schnellstraße. Die Sonne glitzerte im Metall der Chassis, als ruhte auf jedem einzelnen Wagen ein besonderer Segen. Das stetige Fließen des Verkehrs versetzte sie fast in eine Art Trance. Sie hob den Kopf und erspähte eine einsame Amsel, die aussichtslos gegen die morgendliche Brise anflatterte. Sie bewunderte die Entschlossenheit des Vogels im ungetrübten Blau des tropischen Himmels. Er gab ein heiseres Krächzen von sich, streckte seinen Schnabel in den Wind und bahnte sich langsam, aber sicher seinen Weg. Detective Barren lächelte und lief zielstrebig zu ihrem Wagen, um sich in die Blechlawine Richtung Stadtmitte einzureihen.
    In der Geschäftsstelle der Miami Dolphins am Biscayne Boulevard ließ man Detective Barren warten. »Sie können von Glück sagen, dass Mr. Stark Zeit für Sie hat«, meinte die Empfangsdame, eine junge Frau mit dem Mindestmaß an

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