Der Frauenhaendler
leicht übergewichtig, aber gut proportioniert. Bevor das Schicksal sie einer Stoßtherapie unterzogen hatte, muss sie eine schöne Frau gewesen sein.
»Na, dann wollen wir mal. Komm mit.«
Den Jungen an der Hand, begab sie sich in den Flur. Ich wartete einen Moment, nahm dann die Mappe, folgte ihnen ein Stück und trat ins Schlafzimmer. Während ich im Bad das Wasser laufen hörte, zog ich mir Socken und Schuhe an und holte meine Lederjacke aus der Reisetasche. Den entgegengesetzten Weg nahmen die Kleidungsstücke, die in der Gegend verstreut herumlagen. Geld und Wettschein holte ich aus ihrem Versteck und steckte Ersteres in die Reisetasche und Letzteren in mein Portemonnaie. Die Mappe vervollständigte mein Gepäck. Als Mutter und Sohn aus dem Bad kamen, gingen sie an der Tür vorbei, ohne sich um mich zu kümmern. Ich drehte eine Idiotenrunde, um mich zu vergewissern, dass ich nichts vergessen hatte. Von mir waren keine Spuren mehr vorhanden, wenn man von dem Abdruck meines Körpers auf dem Bett mal absah. Aber auch der würde verschwinden.
Ich kehrte ins Wohnzimmer zurück und stellte meine Reisetasche neben Lucianas Koffer. Der eine kommt, der andere geht. Es ist immer dasselbe. Mit einem Unterschied. Bei der Rückkehr sind die Koffer stets schwerer als bei der Abfahrt.
Ich trat in die Küchentür. Luciana reichte dem Jungen gerade ein Glas Leitungswasser. Der Kleine schaute mich mit dunklen, freudlosen Augen an. Es ist unglaublich, dass die Wehmut gewisser Reisen vor niemandem haltmacht.
Ich wandte mich an die Frau.
»Haben Sie etwas gegessen?«
»Ein Brötchen im Zug.«
Ich zeigte auf die Hängeschränke und öffnete den Kühlschrank.
»Hier ist eine Menge Zeug. Alles Konserven, aber es dürfte für ein paar Tage reichen.«
Luciana öffnete die Schranktüren und schaute nach, was sich darin befand. Der Kleine ließ uns alleine und ging ins Wohnzimmer, um von der neuen Umgebung Besitz zu ergreifen.
Nach der Inspektion sah Luciana mich an. Ihr Gesicht war angenehm, und die Augen müssen einst lebendig gewesen sein.
»Haben Sie Hunger? Wenn Sie möchten, kann ich ein paar Nudeln kochen.«
»Nein danke. Ich habe es ein wenig eilig, weil ich noch ein paar Dinge erledigen muss. Danach werde ich dann alle Zeit der Welt haben, um zu essen.«
Aus dem anderen Zimmer war die Stimme des Kindes zu hören, weinerlich.
»Mama, ich hab Nasenbluten.«
»Ach, Rosario. Schon wieder.«
Die Frau trat an mir vorbei und begab sich zu dem Jungen, der mit erhobenem Kopf dastand. Aus seinem rechten Nasenloch rann Blut. Sie ging zu ihrer Handtasche, kramte darin herum und holte ein Taschentuch heraus, auf dem bereits rote Flecken waren. Dann kniete sie neben ihrem Sohn nieder, hielt das Taschentuch an seine Nase und drückte das Nasenloch zu.
Irgendwann schaute sie sich zu mir um. In ihren Augen standen Tränen. Die unverwechselbaren Tränen einer leidenden Mutter.
»Ich bin zurückgekommen, weil es dem Jungen schlecht geht. Er ist Bluter, und in Deutschland kann er nicht geheilt werden, weil niemand die Therapie bezahlt. Er braucht teure Spritzen, und ich habe das Geld nicht.«
Sie machte eine Pause. Dann hatte sie plötzlich wieder das wild entschlossene Gesicht eines Kriegers.
»Aber ich werde es bald haben, und wenn ich Carmine zwingen muss, diese Wohnung zu verkaufen. Der Kauf war das einzig Sinnvolle, was er je getan hat.«
Noch eine Pause. Die Zeit damals auszulöschen muss schwer gewesen sein. Ebenso schwer, wie eine Entscheidung zu treffen.
»Als ich gegangen bin, habe ich mir geschworen, dass ich nichts mehr von ihm will. Jetzt ist das anders. Jetzt trage ich Verantwortung und bin nicht mehr Herrin meines Lebens.«
Ich hatte nicht den Mut, ihr zu sagen, dass die Wohnung nicht verkauft werden konnte. Die Familien der Opfer traten als Nebenkläger auf, die Entschädigungsklage würde sich auf unbestimmte Zeit hinziehen, und die Wohnung war praktisch jedem Zugriff entzogen.
Luciana nahm das Taschentuch weg, um zu kontrollieren, ob die Blutungen aufgehört hatten. Dann wischte sie die letzten Blutflecke aus dem Gesicht ihres Sohns und umarmte ihn.
»Siehst du, es ist schon vorbei.«
»Es geht doch immer vorbei.«
»Und jetzt sind wir hier, damit du geheilt wirst und es nie wiederkommt.«
Sie erhob sich wieder. Rosario verfolgte ihre Bewegungen mit den Augen.
»Mama, ich bin müde. Kann ich ins Bett gehen?«
»Ja, geh nur. Mach ein schönes kleines Nickerchen, während Mama etwas zu essen
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