Der Frauenhaendler
Tasche habe, bin ich es, der die Möglichkeit dazu hat.
Und ich werde sie nutzen.
An einer Ampel halten wir an, auf der Höhe einer Apotheke mit Sonntagsdienst. Eine Frau mit einem kleinen Mädchen schiebt gerade die Tür auf. Meine Gedanken kehren zu den beiden Personen zurück, die ich soeben getroffen habe. Auf der Schwelle einer Wohnung, die für ein paar Tage eine sichere Zuflucht war. Jetzt ist es nur noch eine von vielen Adressen auf dem Stadtplan von Mailand.
Sobald ich sie gesehen hatte, bin ich aufgestanden und ihnen entgegengegangen.
Die Frau rührte sich nicht, sondern streckte nur eine Hand aus, um den Jungen an sich zu ziehen. Ich sah, dass sie sich versteifte. Die anfängliche Angst und Überraschung wichen der Entschlossenheit. Jener, mit der sie ihren Ehemann verlassen hatte, als ihr klar wurde, dass er sich nicht ändern würde. Als sie beschlossen hatte, dass ihr Sohn nicht mit einem Kriminellen aufwachsen soll.
»Wer sind Sie?«
Ich blieb einen Schritt vor ihr stehen.
»Ich bin Bravo, ein Freund von Carmine. Und Sie sind vermutlich Luciana, seine Ehefrau.«
Die Frau beachtete mich gar nicht. Ihr Blick wanderte ins Innere der Wohnung. Die Bezeichnung als Ehefrau von Carmine konnte sie schon seit Jahren nicht mehr treffen. Das war jetzt nur noch eine unerfreuliche Tatsache, wie der Staub auf den Möbeln und der desolate Zustand der Wohnung. Vielleicht dachte sie an Zeiten zurück, in denen diese Möbel ihr gehörten, die Wohnung sauberer und ihr Leben etwas weniger schmutzig war.
»Hat Carmine Ihnen die Wohnung vermietet? Warum hat er denn nicht das Schloss ausgetauscht?«
Mit einer Handbewegung verwies ich auf etwas, das Wohnungen, Schlösser und Entscheidungen umfasste.
»Ich habe sie nicht wirklich gemietet. Als Carmine …«
Schnell musterte ich den Knaben, der abwechselnd mich und seine Mutter anschaute. In diesem Alter saugen sie alles in sich auf und verstehen viel mehr, als man denkt. Und was sie nicht verstehen, bleibt oft irgendwo im Verborgenen hängen. Unter Umständen kann es dann später größere Schäden anrichten. Ich zog es also vor, das Wort ›verhaftet‹ nicht vor ihm auszusprechen.
»Als Carmine Probleme bekam, habe ich die Miete und die Rechnungen weiterbezahlt.«
»Warum?«
»Manchmal gibt es Dinge, die man ohne einen bestimmten Grund tut.«
»Auch wenn das so scheint, es gibt immer einen Grund.«
Sie sah mich an, und in ihren Augen lag Ernüchterung. Ich erkannte darin all die Tage, in denen sie sämtliche Personen, die ihr über den Weg liefen, daraufhin angeschaut hatte, ob es sich um Halunken wie ihren Ehemann oder um Polizisten handelte. Ohne dahinterzukommen, welche Kategorie gefährlicher war. Sie hatte nur die unerschütterliche Gewissheit, dass sie beide feindselig waren. Eine Woche zuvor noch hätte ich die Sache in das Regal der eigenen Angelegenheiten gepackt und wäre einfach gegangen. Doch inzwischen hatten meine Gewissheiten tiefe Risse bekommen, und das Regal war nicht mehr stabil. Die ihren schienen allerdings zu überdauern, weil Zeit und Tatsachen sie bestätigt hatten.
Sie ließ nicht zu, dass ich noch etwas hinzufügte.
»Verstecken Sie sich hier?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Nicht mehr. Ich hatte ein paar Unannehmlichkeiten, aber das ist jetzt vorbei. Ich bin gerade beim Aufbruch.«
»Sind Sie bewaffnet?«
»Nein.«
Offenbar war sie der Meinung, dass meine Stimme und mein Blick aufrichtig waren. Im Übrigen muss auch sie sich die Regel zu eigen gemacht haben, dass man sich aus den Angelegenheiten anderer besser heraushält. Eine Regel, der üblicherweise zur Hälfte eine Entscheidung zugrunde liegt und zur Hälfte ein äußerer Zwang. Sie hob den Koffer hoch und schob den Jungen in die Wohnung. Dann bückte sie sich und begann, ihm die Jacke auszuziehen, die für die Jahreszeit etwas zu dick war.
»Es tut mir leid, aber ich wusste nicht, wo ich hinsollte. Wir sind gerade aus Deutschland gekommen. Eine Nachbarin hier, mit der ich in Kontakt geblieben bin, hat mir gesagt, dass die Wohnung leer steht. Ich habe mich immer gefragt, warum ich diesen Schlüssel überhaupt aufhebe. Jetzt weiß ich es.«
Nachdem das Kind von der Jacke befreit war, fühlte es sich auch frei zu reden.
»Mama, ich muss aufs Klo.«
Sie zog ihre Jacke aus und warf sie aufs Sofa. Man sah, dass der Rock und der Pullover, die darunter zum Vorschein kamen, aus Mangel an Alternativen zusammengestellt worden waren und nicht vom persönlichen Geschmack. Sie war
Weitere Kostenlose Bücher