Der Frauenhaendler
Schloss schnappt auf, die Tür öffnet sich. Im Rahmen stehen zwei Gestalten, einen Leinenkoffer neben sich. Eine Frau in einer Wolljacke schaut mich überrascht und verängstigt an. Neben ihr steht ein bleicher, dunkelhaariger Junge, ungefähr fünf Jahre alt. Ihre Gesichter und ihre Kleidung sehen aus, als hätten sie eine lange Reise hinter sich und wüssten nicht, was schlimmer ist. Der Ort, an dem sie ankommen, oder jener, von dem sie aufgebrochen sind.
Kapitel 22
Als ich am Ende der Via Carbonia ankomme, steht die Giulietta von Stefano Milla am Straßenrand. Um mich herum erlebt ein volkstümliches Mailänder Viertel die letzten Nachwehen eines Frühlingssonntags. Der Samstag ist nur noch Erinnerung, der Montag eine unschöne Perspektive. Doch wenige Stunden bleiben noch. Das Fußballspiel, der Film, die Pizza, der Flipperautomat, die Musik in Kneipen und Disco. Ein Mann, eine Frau, ein Autorücksitz, eine Hand am Schwanz im Dunkeln eines Kinos, Küsse von Jugendlichen, praktisch ohne Zunge und Spucke. Ein Joint, eine Linie Kokain, ein Schuss, ein Glas miserabler Wein, eine Coca-Cola, ein Glas Mineralwasser mit Zitronenschnitz. Jeder steht Schlange, um zu bestellen, was er am dringendsten braucht zum Sein oder Nichtsein.
Was für ein Arschficker Hamlet doch war.
Ich habe nichts gemein mit den Leuten um mich herum. Weder eine Vergangenheit noch eine Gegenwart, noch eine Zukunft. Nicht einmal mit einem Namen kann ich dienen oder mit meinem Gesicht, das sich hinter dem hochgeklappten Kragen, der dunklen Brille und dem langen Bart verbirgt. Oben drauf ein Hut, den ich in Carmines Schrank gefunden habe. Mein Samstag auf dem Dorf war gespickt mit Schüssen und Leichen in einer Villa kurz hinter Segrate. Die Party war sofort vorbei, wie es die Regel vorsieht. So gründlich ich mich auch gewaschen habe, ich spüre immer noch die Spritzer von Lucios Blut im Gesicht.
Ich erinnere mich noch an seine Worte im Quartiere Tessera, in jener Nacht, als ich losgezogen bin, um in die Falle zu gehen.
Nein, Bravo. Ich bin ein toter Mann. Genau wie du …
Stattdessen lebe ich. Und hoffe, es nicht bereuen zu müssen.
Ich überquere die Straße. Auf dem Bürgersteig auf der anderen Seite kommen mir ein Typ und ein Mädchen entgegen. Er ist sehr schlank, hat lange Haare und trägt einen grünen Parka, der perfekte Ersatz für die Eskimojacke in dieser Jahreszeit. Sie hat krauses Haar, Eiterpickel an den Wangen und wird niemals schlank sein.
Laurel und Hardy haben sich beim Spazierengehen untergehakt.
Sie sind wunderschön.
Als ich an ihnen vorbei bin, stehe ich vor dem Wagen. Ich öffne die Hintertür und werfe die Tasche auf den Rücksitz. Dann gehe ich zur Vordertür und setze mich neben Milla. Er dreht mir den Kopf zu, mustert meine Verkleidung und vergleicht mich vielleicht mit dem Phantombild, das jetzt nicht mehr meinem Aussehen entspricht. Auch er trägt eine dunkle Brille. Er ist angespannt und ängstlich. Eigentlich möchte er ein anderer an einem anderen Ort sein und tut nichts, um das zu kaschieren.
Vielleicht versucht er es auch und schafft es nur nicht.
»Verdammt, Bravo. Hast du eine Ahnung, was für einen Ärger du mir einbrockst?«
Ich schüttele den Kopf.
»Ich brocke dir keinen Ärger ein.«
Nachdem ich den Hut abgenommen und auf den Rücksitz geworfen habe, fahre ich mir mit den Händen durchs Haar. Ich bin es nicht gewohnt, es so kurz zu tragen.
»Wenn alles vorbei ist, wirst du in den Augen deiner Vorgesetzten der heroische Inspektor sein, dem ich mich gestellt habe. Du wirst Geld haben. Und wenn du tust, was ich sage, wirst du auch befreit sein.«
»Befreit wovon?«
»Von deiner Lovestory mit Tano Casale.«
Über sein Gesicht fliegt etwas, das sofort wieder verschwunden ist. So schnell, dass ich nicht erkennen konnte, was es war.
»Ich weiß nicht, was du vorhast, aber wenn der mitbekommt, dass ich hinter seinem Rücken intrigiere, bin ich ein toter Mann.«
Ich nehme die Brille ab und schaue ihn an.
»Ich war für geraume Zeit einer. Wie du siehst, ist es gar nicht so schlimm.«
Er gibt sich einen Ruck und startet den Motor.
»Wo zum Teufel soll es hingehen?«
»Piazza Amendola, Nummer fünf. Vor dem Taxistand.«
Der Wagen fährt los. Ich setze die Brille wieder auf und mache es mir bequem. Wir biegen links ab in die Via Arsia, Richtung Messe. Zum wiederholten Male sage ich mir, dass alles vorbei ist. Dass mir jetzt nichts mehr schaden und mir wehtun kann. Mit dem, was ich in der
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