Der Frauenhaendler
erreicht, da ich mich zwar nicht mehr an ihren Namen, wohl aber an ihre Worte erinnern kann. Schade, dass sie, als es mit dem Schlamassel losging, nicht da war. Weder sie noch eine andere Frau.
Ich feuchte mein Gesicht an und verteile mit dem Rasierpinsel Schaum auf meinen Wangen. Die kühlen Ausdünstungen des Menthols steigen mir in die Augen. Ohne Vorwarnung, wie es bei Erinnerungen so ist, kommt mir eine Person in den Sinn, die ich als Kind erfunden habe, nachdem ich gesehen hatte, wie der Barbier in meinem Heimatdorf das Gesicht eines Kunden unter diesem weißen Zeug, das mich an Schlagsahne erinnerte, hatte verschwinden lassen. Wer weiß, was aus meinem armen Schaummann geworden ist und ob es ihm in all den Jahren gelungen ist herauszufinden, ob er unter der weißen, unbeständigen Masse ein Gesicht hat.
Ich dagegen weiß, dass ich eins habe. Dessen bin ich mir allzu früh bewusst geworden. Das war immer mein Problem.
Ich beginne mit der Rasur.
Die Klinge zieht Spuren von Wirklichkeit in meine kindlichen Spielchen. Bald sind meine Wangen glatt, und ich betrachte mich mit Augen, die mit der Zeit, mit meinen eigenen Entscheidungen und mit denen anderer erwachsen geworden sind. Letztere lassen einen am schnellsten altern. Innerlich.
Ich öffne den Wasserhahn in der Dusche, und während ich darauf warte, dass das Wasser die richtige Temperatur erreicht, versuche ich, ein neues Kryptogramm für Lucio zu erfinden. Als ich mich unter den Strahl stelle, bringt mich die beißende Hitze auf eine Idee.
Da ist es, das neue Rätsel.
Scharfe animalische Rast (4, 5, 3, 4, 2, 7)
Das bedeutet, dass die Lösung aus sechs Wörtern besteht. Eines mit vier Buchstaben, eines mit fünfen, eines mit dreien und so weiter. Schwer ist das nicht, und ich denke, dass er es sofort lösen wird, auch wenn das nach außen hin Einfache oft ein verschlungenes Innenleben hat.
Ich nehme einen Schwamm von der Ablage, gebe ein wenig Duschgel darauf und seife mich ein. Mir ist es lieber, dieses unbelebte Objekt dafür zu benutzen, als könnte es etwas ändern, den Kontakt von Händen und Körper zu vermeiden. Manchmal helfen kleine Manien gegen große Probleme.
Mit dir würde ich auch umsonst mitgehen …
Wie ein Blitz schießt mir das Gesicht der Frau wieder in den Kopf. Ihre Worte waren nie daraus verschwunden. Ich stelle mir ihren schmalen, starken Körper unter ihrer Kleidung vor. In meiner Hand spüre ich ihre feste Brust. Der Duft der Seife ruft mir andere Düfte wieder in Erinnerung, den erhabenen Geruch des Sex, seinen süßlichen und rostigen Geschmack, vor und nach der Raserei. Unstillbar steigt das Verlangen in mir auf und streicht mir mit weichen, schlüpfrigen Fingern über den Bauch. Ich massiere mich in der Leistengegend und erhalte als Reaktion nur die Bestätigung einer Tatsache, die mit jedem Tag schwerer zu ertragen ist. Immer schneller reibe ich, als wollte ich mich entweder auslöschen oder wiederherstellen, bis mein Herz irgendwann schneller schlägt und ich mich zu Boden sinken lasse, unter dem Strahl, der gleichgültig von oben herabfällt. Dort bleibe ich sitzen und warte auf ein Ende, das nicht kommen kann. Schließlich vergieße ich das Einzige, was ich noch vergießen kann: meine Tränen. Es ist wie ein Segen, als sie sich langsam mit dem Wasser der Dusche vermengen.
Kapitel 4
In der Via Monte Rosa, etwa hundert Meter vom erleuchteten Eingang des Ascot Club entfernt, halte ich.
Ich zünde mir eine Zigarette an und bleibe im Wagen sitzen, um meine Gedanken zu sortieren und Schlüsse aus dem bisherigen Verlauf des Abends zu ziehen.
Nachdem ich in Cesano Boscone das Haus verlassen hatte, bin ich zu Fuß in die Via Turati gegangen, um den Ort aufzusuchen, der von allen ›Micheles Bar‹ genannt wird. Ein paar Mal habe ich dort Zigaretten gekauft oder einen Kaffee getrunken, aber ich könnte nicht behaupten, Stammgast zu sein. Daher kenne ich niemanden dort, und niemand kennt mich.
Das zu der Zeit beinahe menschenleere Lokal ist ziemlich groß, rechteckig, hat zwei Schaufenster und liegt mit der längeren Seite parallel zur Straße. Der Bereich zur Linken ist der Wettannahmestelle vorbehalten. Dort hängen Werbeplakate für die Spiele, die ein glorreiches Schicksal versprechen. Quer in der Mitte steht die Theke und trennt die beiden Bereiche voneinander ab. Davor stehen ein paar Tischchen und Stühle mit Plastiklehne, wie man sie an einem solchen Ort zu Recht erwartet. An den Seiten erheben
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