Der Frauenheld
Sie hatten einen leichten ligurischen Wein bestellt, sich ein bißchen betrunken und hatten ein langes und in gewisser Weise intimes Gespräch angefangen. Josephine erzählte ihm, daß sie im Vorort Aubervilliers, nördlich von Paris, geboren worden war und gar nicht schnell genug von zu Hause wegkommen konnte. Sie war auf die Universität gegangen und hatte Soziologie studiert, während sie noch bei ihren Eltern lebte, hatte jetzt aber keine Beziehung mehr zu ihrer Mutter oder ihrem Vater, der in den späten Siebzigern nach Amerika gezogen war und von dem man seither nichts mehr gehört hatte. Sie sagte, sie sei acht Jahre mit einem Mann verheiratet gewesen, den sie einmal sehr gerne mochte und mit dem sie ein Kind hatte, aber den sie nicht besonders liebte, und daß sie vor zwei Jahren eine Affäre mit einem anderen Mann, einem jüngeren Mann, begonnen hatte, die nur kurze Zeit dauerte und dann so endete, wie sie es erwartet hatte. Danach hatte sie gedacht, daß sie ihr Leben einfach mehr oder weniger dort wiederaufnehmen könnte, wo sie es unterbrochen hatte, ein lebenslanger bürgerlicher Wirrwarr von Kontinuität. Aber ihr Mann war über die Untreue seiner Frau schockiert und erbost und aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen, hatte seinen Job bei einer Werbeagentur aufgegeben, eine neue Lebensgefährtin gefunden und sich darangemacht, einen Roman zu schreiben, dessen einziges Thema die angenommenen Abenteuer seiner Frau waren – von denen er sich einige, wie sie Austin sagte, offensichtlich bloß ausgedacht hatte, von denen aber andere zu ihrem Amüsement überraschend genau nachgezeichnet waren.
»Es ist nicht mal, daß ich ihm einen Vorwurf mache, Sie wissen?« hatte Josephine gesagt und gelacht. »Solche Dinge gibt es nun mal. Sie passieren. Andere Leute machen, was ihnen gefällt.« Sie sah aus dem Restaurantfenster auf die Reihe kleiner Autos, die entlang der Straße parkten. »Na und?«
»Aber was geschieht jetzt?« sagte Austin, der versuchte, eine Stelle in der Geschichte zu finden, die ihm Einlaß gewähren würde. Einen Satz, eine Nische, irgend etwas, von dem man sagen konnte, daß es sein näheres Interesse einlud – aber solch einen Satz gab es nicht.
»Jetzt? Ich lebe zusammen mit meinem Kind. Allein. Das ist all mein ganzes Leben.« Unerwartet sah sie zu Austin auf, und ihre Augen öffneten sich weit, als wolle sie sagen: Was gibt es denn sonst noch? »Was noch sonst?« sagte sie tatsächlich.
»Ich weiß es nicht«, sagte Austin. »Glauben Sie, daß Sie wieder zu Ihrem Mann zurückkehren?« Das war eine Frage, die er nicht ungern stellte.
»Ja. Ich weiß nicht. Nein. Vielleicht«, sagte Josephine, schob die Unterlippe leicht vor und hob ihre Schulter in einer Geste der Unbekümmertheit, die Austin als für Französinnen typisch empfand. Bei Josephine störte sie ihn nicht, aber gewöhnlich mochte er es an Menschen nicht, wenn sie diese Geste vorgaben. Sie war offenkundig falsch und wurde immer bei wichtigen Angelegenheiten eingesetzt, von denen eine Person glauben machen wollte, sie seien ihr nicht wichtig.
Josephine wirkte aber nicht wie eine Frau, die eine Affäre hatte und dann jemandem, den sie kaum kannte, nüchtern davon erzählte (sie wirkte eher wie eine unverheiratete Frau, die nach jemandem suchte, für den sie sich interessieren konnte). Offensichtlich war sie komplizierter, vielleicht sogar schlauer, als er gedacht hatte, und ziemlich realistisch, was das Leben anging, wenn auch etwas desillusioniert. Wahrscheinlich konnte er sie, wenn er die Frage der Intimität mit Nachdruck angehen wollte, mit auf sein Zimmer nehmen – etwas, was er schon früher auf Geschäftsreisen getan hatte, und zwar, wenn auch nicht sehr häufig, doch häufig genug, daß es jetzt, zumindest für ihn, nichts Außergewöhnliches oder Bedeutungsvolles wäre. Gemeinsam an einer unerwarteten Intimität teilzuhaben, konnte vielleicht bewirken, daß sie beide ihre Leben besser in den Griff bekämen.
Dennoch umgab ein gewisses Maß an Unsicherheit eben diesen Gedanken – einen Gedanken, den er so gewohnt war, daß er nicht von ihm lassen konnte. Vielleicht war es so, daß, obwohl er sie mochte, ihre Offenheit und Direktheit im Umgang mit ihm mochte, Intimität gar nicht das war, was er wollte. Er fand sie auf eine überraschende Weise ansprechend, aber körperlich fühlte er sich nicht zu ihr hingezogen. Und vielleicht, dachte er, während er sie über den Tisch hinweg ansah, waren Intimitäten mit ihm das
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