Der Frauenheld
unterwegs gewesen, bis die Erschöpfung sie in ihrem winzigen Zimmer in die Betten sinken ließ, vorm unentzifferbaren französischen Fernsehen, das sie schließlich in den Schlaf lullte.
Austin erinnerte sich nun, als er unterwegs zu Josephine Belliards Wohnung auf dem belebten Trottoir stand, sehr deutlich daran, daß Barbara und er Paris am ersten April verlassen hatten – und zwar mit einem Direktflug nach Chicago. Nur, als sie sich mit ihrem schweren Gepäck aus dem Zimmer gekämpft, sich in den winzigen stickigen Fahrstuhl gezwängt hatten und in die Lobby heraustraten, um ihre Rechnung zu bezahlen und abzureisen – sie wirkten wie gequälte Flüchtlinge –, blickte der pakistanische Empfangschef, der ein schneidiges britisches Englisch sprach, aufgeregt über den Rezeptionstresen und sagte: »Oh, Mr. Austin, mir scheint, daß Sie bedauerlicherweise die schlechten Nachrichten noch nicht gehört haben.«
»Was sagen Sie da?« hatte Austin gesagt. »Was für schlechte Nachrichten?« Er sah Barbara an, die einen Kleidersack und eine Hutschachtel hielt, und sagte sich, daß er keine schlechten Nachrichten hören wollte.
»Es gibt einen ziemlich schlimmen Streik«, sagte der Empfangschef und sah sehr bekümmert aus. »Der Flughafen ist geschlossen. Niemand kann Paris heute verlassen. Und wir haben, es tut mir leid, das sagen zu müssen, Ihr Zimmer bereits an einen anderen Gast vergeben. Einen Japaner. Es tut mir so leid, so leid.«
Austin stand inmitten seiner Koffer. Während ein Gefühl von Niederlage und Frustration und Zorn, das auszudrücken natürlich sinnlos war, sich schwer auf ihn legte. Er starrte aus dem Hotelfenster auf die Straße. Der Himmel war bewölkt, und es wehte ein kalter Wind. Er hörte, wie Barbara hinter ihm eher zu sich selbst, aber auch zu ihm sagte: »Ach, macht nichts. Wir kriegen das schon hin. Wir werden was anderes finden. Es ist einfach Pech. Vielleicht wird’s noch ein Abenteuer.«
Austin sah den Empfangschef an, einen kleinen braunen Mann mit ordentlich gekämmtem schwarzem Haar und einem weißen Baumwolljackett, der hinter dem Marmortresen stand. Er lächelte Austin an. Dies alles war ihm ganz gleichgültig, das wußte Austin; daß sie nicht wußten, wo sie hinsollten; daß sie Paris satt hatten; daß sie zuviel Gepäck mitgenommen und zuviel eingekauft hatten; daß sie jede Nacht schlecht geschlafen hatten; daß das Wetter umschlug und kälter wurde; daß sie kein Geld mehr hatten und die arroganten Franzosen nicht mehr ausstehen konnten. Nichts davon berührte diesen Mann – irgendwie, das fühlte Austin, hatte es ihm vielleicht sogar Vergnügen bereitet, soviel Vergnügen, daß er lächelte.
»Was ist so verdammt lustig?« hatte Austin zu dem kleinen Mann vom Subkontinent gesagt. »Warum bereitet Ihnen mein Pech so ein verdammtes Vergnügen?« Er würde jetzt seinen ganzen Zorn auf diesen Mann konzentrieren. Er konnte nicht anders. Der Zorn konnte es auch nicht mehr schlimmer machen. »Ist es Ihnen egal, daß wir Gäste dieses Hotels sind und daß wir hier nun ziemlich in der Klemme stecken?« Er hörte in seiner eigenen Stimme einen flehenden Ton.
»April, April!« sagte der Empfangschef und brach in ein quiekendes hohes Gelächter aus. »Ha, ha, ha, ha, ha, ha, ha. Es ist nur ein Scherz, Monsieur«, sagte der Mann, der jetzt sehr zufrieden mit sich selbst war, noch zufriedener als in dem Augenblick, als er Austin die Lüge erzählt hatte. »Auf dem Flughafen ist alles in Ordnung. Er ist geöffnet. Sie können fliegen. Es gibt keine Störungen. Es ist alles in Ordnung. Es war nur ein Scherz. Bon voyage, Mr. Austin. Bon voyage.«
3 Die folgenden zwei Tage, nachdem sie ihn um Mitternacht auf der Straße hatte stehenlassen, nachdem er sie zum ersten Mal geküßt und das Gefühl gehabt hatte, etwas absolut Richtiges getan zu haben, war Austin sehr oft mit Josephine Belliard zusammen. Er hatte vorgehabt, mit dem TGV nach Brüssel zu fahren, dann weiter nach Amsterdam und von dort nach Chicago zu fliegen und nach Hause. Aber am nächsten Morgen schickte er seinen Kunden und seiner Firma eine Mitteilung, in der er über »gesundheitliche Probleme« klagte, die unerklärlicherweise wieder aufgetreten seien, wobei er das Gefühl habe, daß es »nichts Ernstes« sei. Er würde seine Geschäfte per Fax abschließen, wenn er nächste Woche wieder zu Hause sei. Barbara erzählte er, daß er beschlossen habe, ein paar Tage länger in Paris zu bleiben – einfach, um sich
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