Der Frauenheld
dem Gedanken gründete, daß er schließlich zu Barbara zurückkehren würde. Alles bewegte sich in diesem Rahmen, den man unmöglich aufbrechen konnte.
Hinter Josephine lag natürlich nichts – keine Struktur, kein Mysterium, kein Geheimnis, nichts, auf das er jetzt neugierig war. Sie war ihm wie eine unwiderstehliche Frau vorgekommen; nicht als großartiges Sexobjekt, nicht übermäßig geistreich – aber als eine Kraft, die er kurz geliebt hatte in der Erwartung, daß sie ihn auch lieben könnte. Er erinnerte sich daran, wie er sie im Auto geküßt hatte, er erinnerte sich an ihr weiches Gesicht und den großartigen, überwältigenden Augenblick eines wundersamen Gefühls, das ihn erregt hatte. Und an ihre Stimme, die leise gesagt hatte: »Nein, nein, nein, nein, nein, nein.« Das zu verlieren – darüber war Bernard nie hinweggekommen. Es hatte ihn dazu gebracht, sie so zu hassen, daß er sie demütigen mußte.
Was ihn anbelangte, so bewunderte er sie, vor allem wegen der Art, mit der sie ihn behandelt hatte. Angemessen. Intelligent. Sie hatte einen größeren Verantwortungssinn als er und auch eine eindringlichere Vorstellung von der Wichtigkeit des Lebens, seiner Schwere, seiner Dauer. Ihm kam tatsächlich alles weniger wichtig vor, weniger dauerhaft, und er konnte nicht einmal versuchen, ihr Lebensempfinden zu erlangen – ein europäisches Empfinden. Es war nicht zu leugnen – er hatte das Gefühl, etwas Gegebenes, etwas Festgelegtes zu sein. Und er hatte ein Bild von sich – ein ganz und gar anderes als das von Josephine behauptete. Josephine war selbst etwas Festgelegtes, aber sie waren sehr, sehr unterschiedlich und hätten zusammen nicht sehr glücklich werden können.
Er fragte sich wieder in jenen träumerischen Augenblicken, als die Angst vor Barbaras Sterben abgeklungen war und bevor er wieder einschlief, er fragte sich, was möglich war zwischen den Menschen. Was war möglich, das wirklichen Wert hatte? Wie konnte man das Leben in den Griff bekommen, anderen geringen Schaden zufügen und doch mit ihnen verbunden sein? Er fragte sich, ob er, wie Barbara in Oak Grove gesagt hatte, als sie so wütend auf ihn gewesen war, ob er sich irgendwie verändert hatte, ob er ein paar wichtige Verbindungen verloren hatte, die sein Glück garantiert hatten, ob er auf Distanz geraten war, unerreichbar. Konnte so etwas mit einem geschehen? Und war das etwas, was man selbst steuerte, eine Frage des eigenen Charakters oder eine Veränderung, bei der man nur das Opfer war? Das waren Fragen, so fühlte er, über die er viele, viele Nächte schlafen mußte.
Über den Autor
Richard Ford
Richard Ford wurde 1944 in Jackson, Mississippi, geboren und lebt heute in Maine. Er hat sieben Romane sowie Novellen, Kurzgeschichten und Essays veröffentlicht. 1996 erhielt er für Unabhängigkeitstag den Pulitzer Prize.
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