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Der Frauenmörder

Der Frauenmörder

Titel: Der Frauenmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hugo Bettauer
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hatten. Und nach vielen Besprechungen mit ehrsamen Kaufleuten, einem Apotheker, einem Rechtsanwalt, einem Arzt und einem Bummler, der sich als Versicherungsagent durchschlug, entwickelte der Kriminalkommissär folgendes Bild von dem Knaben Hartwig:
    Ein wenig zaghaft und zurückhaltend, aber nie Spielverderber. Hilfsbereit den weniger begabten Kameraden gegenüber, für die er, wenn es sein mußte, bis in die Nacht hinein Aufsätze verfaßte. Hartwig was als Knabe und Jüngling jeder Roheit unfähig gewesen, hatte bei ernsten Prügeleien stets vermittelnd eingegriffen, konnte aber jähzornig werden, wenn er Tierquälereien beiwohnte. Den Verkehr mit seinem besten Freund hatte er aufgegeben, weil dieser nicht davon ablassen wollte, Käfer und Schmetterlinge für seine Sammlung zu fangen und zu präparieren.
    Dengern bekam vom Rektor des Wilhelm-Gymnasiums in Köln die Erlaubnis, die zu Bündeln verpackten, verstaubten und vermoderten Schulhefte der früheren Jahrgänge zu durchstöbern, um deutsche Schulaufsätze Hartwigs zu finden. Stundenlang suchte er auf dem Dachboden des Gymnasiums in Staub und Spinnetzen, bis er die Hefte fand, in die vor fünfzehn, sechzehn Jahren Thomas Hartwig seine deutschen Arbeiten geschrieben hatte. Mit ihnen eilte er in sein Hotelzimmer und las alle diese gequälten, unnatürlichen und lebensfremden Stilübungen durch, die die Schule unter den Devisen "Schuld und Sühne der Jungfrau von Orleans", "Das Leben ist kurz, spricht der Weise, spricht der Tor", "Wie verbrachte ich meine Osterferien?" und so weiter verlangt. Immerhin — manch kühner, origineller Gedanke fiel ihm auf, vor allem aber die meisterhafte Beherrschung der Sprache und das peinliche Bestreben, unpathetisch zu bleiben und der Phrase aus dem Weg zu gehen.
    Die glanzlosen, gleichgültigen Augen Dengerns belebten sich. "Was ist das größte Verbrechen, das der Mensch begehen kann?" lautete ein Thema in der Unterprima und Hartwig hatte es präzise, klar und logisch dahin bearbeitet, daß das verdammenswerteste Verbrechen die Vernichtung eines Lebens, der Mord sei. Durch den Mord, zu selbstsüchtigen Zwecken begangen, vernichtet man die ungeahntesten Möglichkeiten, begeht man ein Verbrechen gegen die ewige Harmonie der Natur, vergewaltigt man das Unverletzlichste. Jedes Verbrechen kann gesühnt und verziehen werden, nur der Mord nicht, weil der, der getötet wurde, nicht mehr Verzeihung gewähren kann. Man tötet einen Menschen und vernichtet dadurch nicht nur ihn selbst, sondern vielleicht auch eine große Idee, die dieser Mensch zum Segen der Welt entwickelt und ausgeführt hatte. Wehe der Mutter, die, um Not und Schande zu entgehen, ihr eben geborenes Knäblein tötet. Denn wer weiß, ob sie nicht in ihm einen neuen Heiland, nach dem die Welt lechzt, ermordet hat. Verzeihung allen armen Sündern, allen Gestrauchelten, allen Opfern eines unsinnigen sozialen Kampfes! Nur dem Mörder darf keine Verzeihung gegeben werden, weil fremdes Leben auslöschen, eine Welt vernichten heißt."
    Da der Unterprimaner Hartwig im weiteren Verlaufe des Aufsatzes auch den Krieg als Massenmord verdammt hatte, bekam er ein "Ungenügend" mit dem Zusatz "Wenig patriotisch gedacht!"
    Dengern aber war tief ergriffen, steckte das Heft ein, schnitt sein unergründlichstes Gesicht und machte einen ausgedehnten Spaziergang den Rhein entlang, um allerlei Gedanken zu ordnen, Mit Lotte Fröhlich hatte Dengern wieder Verbindung gesucht, aber nicht gefunden. Er hatte ihr auf der Straße aufgelauert und sie angesprochen. Lotte, schön und lieblich wie nur je, wenn auch ein wenig blaß, pfauchte ihn wie eine Wildkatze an:
    "Gehen Sie mir aus dem Weg, Sie abscheulicher Mensch! Sie haben sich an mich wie ein Dieb herangeschlichen, um mich auszuforschen. Das ist niedrig und gemein!"
    Dengern lächelte müde.
    "Sie haben so unrecht nicht, Fraulein Fröhlich, es ist wirklich kein schöner Beruf, Jagd auf Menschen machen zu müssen. Immerhin, es kann das auch seine guten Seiten haben, mein verehrtes, gnädiges Fräulein!"
    Mit diesen Worten war Dengern davongeeilt und Lotte blieb ein wenig beschämt und verdutzt stehen.
    Dengern machte dann die Bekanntschaft der Frau Lämmlein, bei der Lotte Fröhlich am Lützow-Ufer wohnte, und es gelang ihm, das Vertrauen der alten Dame zu erwerben, um so mehr, als er sich als Wein- und Likörreisender eingeführt hatte, der nie auf Aufträge drängte, aber immer nette, kleine Musterflaschen zur Verfügung stellte. Frau Lämmlein

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