Der fremde Freund - Drachenblut
begriffsstutzigen Versager. Sie führt sich widerlich auf, und ihr Mann sieht dann verwundet und unangenehm berührt drein, während Vater, Mutter und ich so tun, als ob wir nicht zuhören. Sie haben eine Tochter, die jetzt vier oder fünf Jahre alt sein muß und so unglücklich ist, ihrem Vater zu ähneln.
Ihr Mann und die Tochter waren in Rostock geblieben. Ich weiß nicht, was meine Schwester ihnen erzählt hatte. Mutter erklärte sie, daß sie Weihnachten und Silvester allein verleben werde, und bat sie, nicht weiter zu fragen. Das war vor einigen Tagen gewesen, am Telefon.
Mutter bekam ihre hektisch-roten Gesichtsflecke, als sie die beiden sah. Mutter wurde nie nervös oder laut, wenn ihr etwas über den Kopf wuchs. Sie blieb ruhig, sah uns freundlich an und bekam auf den Wangen ihre roten Flecken.
Wir begrüßten uns, Hinner küßte mich auf die Wange. Dann setzten wir uns zum Mittagessen. Bei Tisch redeten wir sehr unbefangen miteinander, viel zu unbefangen, alsdaß es glaubwürdig war. Nur Vater schien nichts bemerkt zu haben. Er wunderte sich, daß die beiden zusammen gekommen waren, und fragte meine Schwester nach ihrem Mann und seinem Enkel aus. Meine Schwester antwortete einsilbig.
Beim Abwasch in der Küche bat sie Mutter, ihrem Mann nichts zu sagen. Wahrscheinlich würde er anrufen und nach ihr fragen. Mutter solle sie entschuldigen. Sie würde ihm alles selber erzählen, später, wenn sie zurück sei. Mutter nickte nur still und hielt den Kopf über das Abwaschwasser. Mit kurzen, energischen Bewegungen rieb sie an einem Teller. Langsam färbten sich ihre Wangen wieder fleckig.
Ich brachte das Geschirr ins Wohnzimmer. Hinner saß im Sessel und rauchte eine Zigarre. Als ich reinkam, stand er auf. Er unternahm einen Versuch, mir behilflich zu sein, wußte aber nicht wie. Unentschlossen stand er neben mir. Er fragte, wie es mir gehe und was meine Arbeit mache. Dann erzählte er, daß er seit September Oberarzt sei. Ich tat überrascht. Vor Jahren hatte er sich darüber beklagt, wie in seinem Krankenhaus Beförderungen verteilt würden. Er hätte wenig Aussichten, weiterzukommen. Er war bitter und verletzt damals, voller Sarkasmus. Um so verwunderter war ich jetzt, wenn es mir auch Mutter bereits erzählt hatte. Hinner bemerkte es und erinnerte sich wohl. Er meinte, es habe sich in den letzten zwei Jahren einiges im Krankenhaus gebessert. Er käme mit dem Chef aus, fahre jetzt auch zu Kongressen mit. Man wisse, was man an ihm habe. Ich fragte ihn, ob er in die Partei eingetreten sei. Er bejahte es. Dann sagte er, es sei nicht so, wie ich denke, er habe sich alles lange überlegt. Ich unterbrach ihn und sagte, daß ich gar nichts darüber denke. Er setzte sich wieder hin. Als ich ihn ansah, fragte er mich, ob ich ärgerlich sei. Ich fragte, wieso, und er sagte: Weil ich mit deiner Schwester zusammen bin.
Was habe ich damit zu tun, sagte ich freundlich.
Er meinte, er sei froh, daß ich es so vernünftig auffasse. Ich sei ein netter Kerl, und schließlich hätten wir uns ja eigentlich immer gut verstanden. Ich erwiderte, ich glaube nicht, daß ich ein netter Kerl sei, aber mit der Sache hätte ich nichts zu schaffen. Es würde nur ihn und meine Schwester angehen. Er stand auf und machte einen ungeschickten Versuch, mir die Wange zu streicheln, wobei er wiederholte, daß ich ein netter Kerl sei.
Als ich in die Küche zurückging, heulte meine Schwester, und Mutter hatte verweinte Augen. Wortlos trocknete ich Gläser ab. Mutter unterbrach irgendwann das Schweigen und meinte, wir sollten daran denken, daß Weihnachten sei, und uns nicht gegenseitig das Herz schwer machen. Dann fragte mich meine Schwester, ob ich auch der Ansicht sei, daß sie mir Hinner weggenommen habe. Ich verneinte und sagte, wir seien seit Jahren geschieden, es sei nichts mehr zwischen uns, von mir aus könne sie mit ihm schlafen. Meine Schwester sagte scharf, es gehe nicht darum, ob sie mit ihm schlafe, ihr gehe es darum, daß sie sich liebten. Ich erwiderte, daß ich nicht wüßte, worum es ihr gehe, ich mir aber sehr genau vorstellen könne, worum es Hinner gehe. Sie heulte wieder, und ich fragte mich, weshalb ich so widerlich zu ihr war. Es war ganz und gar unnötig, ihr das zu sagen. Warum mußte ich sie kränken. Was störte mich daran, daß sie mit ihm zusammen war.
Ich versuchte, mich zu entschuldigen, ihr etwas zu erklären. Es war umsonst. Sie warf mir einen wütenden Blick zu. Mutter wiederholte stereotyp: Vertragt euch,
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