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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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und auch sie selbst trug zahlreiche Verletzungen davon. Wenn sie bei der Polizei aufkreuzte, würde man sofort glauben, sie sei Opfer eines Gewaltverbrechens geworden.
    Und in gewisser Weise stimmte das ja auch.
    Da lag wieder die Straße, dunkler als vorher, da die Bäume rechts und links das Mondlicht auffingen. Inga war tatsächlich ein gutes Stück vorangekommen. Sie holte tief Luft und setzte alles auf eine Karte: Sie verließ das schützende Dickicht und bewegte sich nun aufrecht entlang der Straße – ganz dicht am Rand zwar, aber natürlich sichtbar für jeden, der des Wegs kommen würde.
    Nichts geschah. Keine Spur von Marius weit und breit. Keine scharfe Stimme, die ihren Namen rief. Keine Hände, die sie packten und festhielten. Keine Faust, die ihr Gesicht traf.
    Keine Gestalt, die plötzlich aus dem Schatten trat.
    Inga drängte die aufkeimende Hoffnung sofort zurück. Bis sie im Polizeirevier stand, wollte sie nicht glauben, es geschafft zu haben. Alles, was sie verleiten könnte, unvorsichtig zu werden, musste sie vermeiden. Aber sie erhöhte ihre Geschwindigkeit, obwohl ihre Beinmuskeln nach dem langen Kriechen fast unerträglich schmerzten. Kleine Steinchen auf dem Asphalt bohrten sich bösartig in ihre Füße. Weshalb trug sie eigentlich keine Schuhe? Sie hatte ihre Badeschuhe angezogen, als sie in der vorletzten Nacht ihr Zimmer verließ, aber irgendwo im Haus hatte sie sie abgestreift.
Egal. Weshalb beschäftigte sie sich überhaupt mit derlei Unwesentlichkeiten ? Vielleicht, um nicht den Verstand zu verlieren. Es war erträglicher, über Schuhe nachzudenken als darüber, was Marius womöglich gerade mit Rebecca anstellte.
    Laufen, laufen, laufen. Schmerzen ignorieren. Nicht zurückschauen. Nicht im Tempo nachlassen. Du hast später alle Zeit der Welt, auszuruhen. Aber nicht jetzt. Nicht jetzt.
    Sie fand ihren Rhythmus. Sie lief, und sie atmete. Schritt um Schritt, Atemzug um Atemzug. Sie hatte noch ein gutes Stück vor sich. Aber sie hatte auch eine beachtliche Strecke zurückgelegt. Daran musste sie denken, um den Mut nicht zu verlieren. Das war wie bei der Geschichte mit dem Glas. Die klassische Einteilung in Optimisten und Pessimisten. Halb voll sah es der eine, halb leer der andere. Wie war das eigentlich bei ihr? Halb voll, entschied sie, im Großen und Ganzen bin ich der Typ für halb voll. Also sehe ich jetzt, was ich geschafft habe. Nicht das, was ich noch nicht geschafft habe.
    Sie hörte den Motor eines Autos, noch ehe sie die Lichter sah.
    Sie blieb abrupt stehen, dachte, sie habe sich getäuscht. Aber sofort wurde ihr klar, dass das Brummen, das sie vernahm, tatsächlich das Motorengeräusch eines sich langsam nähernden Autos war. Und nun bemerkte sie auch den Lichtschein, der durch die Bäume fiel.
    Mitten in der Nacht, auf dieser einsamen Landstraße, traf sie auf ein Auto! Ein Anwohner vielleicht, der spät nach Hause zurückkehrte. Jemand, der ihr helfen konnte. Der sie mitnahm, der die Polizei verständigte. Vor Erleichterung schossen ihr die Tränen in die Augen. Und vor Erschöpfung, die sie sich jetzt eingestand und die sie sofort zu überwältigen drohte. Sie konnte nicht mehr! Sie war halb verdurstet. Sie war schwach vor Hunger. Ihre Beine würden jeden Moment
einknicken. Alles tat ihr weh. Sie blutete an vielen Stellen ihres Körpers. Sie war am Ende.
    Mit letzter Kraft schleppte sie sich zur Mitte der Straße. Hob die Arme und winkte.
    Die Scheinwerfer kamen jetzt direkt auf sie zu. Sie blendeten so, dass sie das Auto dahinter nicht erkennen konnte.
    Aber der Fahrer musste sie sehen, ihm blieb gar nichts anderes übrig.
    Das Auto wurde noch langsamer. Unsicherheit vielleicht.
    Der Fahrer empfindet mich bestimmt auch als Bedrohung, dachte sie, aber er ist auch vorher schon sehr langsam gefahren. Weshalb kriecht einer hier so zögernd entlang?
    Und im selben Moment traf sie die Erkenntnis, die Antwort auf ihre Frage, und ihr wurde übel vor Entsetzen.
    Wie hatte sie so dumm sein können? So leichtsinnig und so idiotisch? Wer kroch hier wohl um diese Zeit mit einem Auto entlang? Jemand, der sorgfältig nach rechts und links in den Wald hineinspähte, der nichts übersehen wollte, der nach etwas suchte und es unter allen Umständen finden wollte. Jemand, der einen Flüchtenden verfolgte und nicht so blöd gewesen war, die Jagd zu Fuß aufzunehmen.
    Er hatte sich Rebeccas Auto geschnappt. Er war die Straße bis zum Ende gefahren, und nun fuhr er sie langsam zurück, weil er

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