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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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getan, als nehme sie ihm seine Geschichte ab, aber er war – gerade in seinem Wahn – äußerst sensibel. Er hätte es gemerkt, wenn sie gespielt hätte. Ebenso wie er nach einer Weile merkte, dass sie aufrichtig mit ihm war. Sie konnte das in seinen Zügen lesen. Seine ganze Haltung war weniger feindselig geworden.
    Was, da hatte sie keinerlei Illusionen, jederzeit umschlagen konnte.
    Sie hatte ihm erklärt, von seinem Anruf beim Sorgentelefon nichts gewusst zu haben, und da war er für einige Momente sehr zornig geworden.
    »Du versuchst, deine Haut zu retten«, erklärte er verächtlich, »du weißt, dass du in der Falle sitzt, und jetzt geht es dir nur noch darum, deinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Du bist ein jämmerliches Stück Dreck, hat dir das noch niemand gesagt?«
    »Ich würde es zugeben, wenn ich es gewusst hätte. Aber ich hatte mit dem Sorgentelefon nichts zu tun. Nur wenig von dem, was dort gesprochen wurde, ist überhaupt je zu mir gelangt. Verstehen Sie, ich war die Geschäftsführerin des Vereins. Ich hatte im Wesentlichen mit der Verwaltung zu
tun. Mit den Geldern, die wir bekamen, mit der Bezahlung meiner Mitarbeiterinnen. Solche Dinge. Wenn ich richtig zurückrechne, war ich in der Zeit, in der Ihre Anrufe stattgefunden haben müssen, intensiv damit beschäftigt, unsere Gruppenstunden für allein erziehende Mütter zu organisieren. Wir versuchten, ihnen die Möglichkeit zum Austausch mit anderen Frauen in der gleichen Situation zu verschaffen, ihnen Spielstunden, Ausflüge und gesellige Zusammentreffen anzubieten. Solche Geschichten eben …« Sie hatte ihm angesehen, dass ihn das nicht im Mindesten interessierte. »Ich will nur sagen«, schloss sie, »dass ich vollkommen überfordert gewesen wäre, hätte ich mich mit jedem Fall aus dem Sorgentelefon selbst beschäftigen müssen.«
    Sie konnte sehen, dass ihm ihre Ausführungen einzuleuchten begannen, auch wenn er sich noch dagegen sträubte.
    Vorsichtig hatte sie versucht, auch für Sabrina Baldini um Verständnis zu werben. »Ihr Fall fiel in die Zuständigkeit des Jugendamts. Sabrina Baldini konnte nichts anderes tun, als dort Rücksprache zu nehmen. Ich vermute, man hat ihr dort versichert, man werde der Angelegenheit nachgehen. Damit endeten ihre Kompetenzen.«
    »Ich habe noch einmal angerufen.«
    »Und dann wird es genauso abgelaufen sein. Marius, wir konnten nicht einfach über das Jugendamt hinweg eigenmächtige Schritte unternehmen. Das müssen Sie bitte verstehen. «
    »Wenn du und die Schlampe vom Sorgentelefon euch nur ein bisschen engagiert hättet, wärt ihr ganz schnell dahinter gekommen, dass mein Pflegevater von einflussreichen Stellen geschützt wurde. Dass mit mir eine Riesensauerei stattfand. Und dann hättet ihr sehr wohl etwas machen können. Die Presse hätte sich auf den Fall gestürzt, und es hätte einen gigantischen Skandal gegeben.«

    Sie hatte ihn angesehen und gehofft, dass er die Aufrichtigkeit und den Ernst ihrer Worte spürte. »Marius, es ist schwierig für mich, die Dinge, die damals geschehen sind, zu beurteilen. Ich schwöre Ihnen, ich habe wirklich nichts davon mitbekommen. Aber wenn Sie mir die Möglichkeit geben, werde ich versuchen, mein Versäumnis von damals, das Versäumnis meines Vereins, wieder gutzumachen. Ich kann alte Kontakte reaktivieren und umfangreiche Recherchen anstellen. Ich werde die Sache aufrollen, und vielleicht gelingt es mir zu erreichen, dass die Verantwortlichen von damals zur Rechenschaft gezogen werden. Allen voran Fred Lenowsky. Aber auch andere. Die ganze Seilschaft. Ich weiß, das ändert nichts mehr an den langen Jahren des Leidens, die Sie durchstehen mussten, aber vielleicht nimmt es Ihnen einen Teil Ihres Gefühls, auf ewig das Opfer zu sein, wenn die Täter nicht ganz ungeschoren davonkommen.«
    Sie hatte ihn erreicht, das konnte sie spüren, und von da an war es bergauf gegangen. An dem Gedanken, alle seine Peiniger auf einer Anklagebank vorzufinden, konnte er sich geradezu festhalten. Er lief auf und ab, wie befreit plötzlich von der tiefen Müdigkeit, die ihm in den Stunden zuvor so sehr zu schaffen gemacht hatte, redete, gestikulierte, warf mit Namen um sich und mit Vorwürfen, sprach von Beweisen, die er beschaffen konnte, und von Strategien, die man anwenden würde, alle Schuldigen zu erreichen. Teilweise sprang er so rasch und verworren von einer Person zur anderen, dass ihm Rebecca nicht folgen konnte, aber sie versuchte ihn zu verstehen, so weit das

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