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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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überhaupt irgendetwas erzählt?«
    Für einen Moment schien er fähig, Schmerz und Wut beiseite zu schieben und nachzudenken. »Ich habe ihr etwas angedeutet …«
    »Was, Marius? Was weiß Inga?«
    Sie konnte sehen, wie sehr ihn allein das Nachdenken über diese Frage erschöpfte. Seit Ewigkeiten keinen Schlaf. Seit Ewigkeiten nichts gegessen. Kaum etwas getrunken. Dazu der extreme Stress, den die Wiedergabe seiner Lebensgeschichte in ihm auslöste.
    Nicht mehr lange, dachte sie, und er klappt zusammen.
    »Ich habe ihr von meinen Eltern erzählt. Von meinen richtigen Eltern. Dass es … dass es da Probleme gab. Sie weiß von der Sozialtante, die unser Leben zerstört hat. Ich glaube …« Vor Anstrengung, sich zu erinnern, fing er für Momente an zu schielen. »Ich glaube«, sagte er verunsichert, »mehr weiß sie nicht.«
    Rebecca sprang sofort darauf an. »Sehen Sie! Wenn sie von den Lenowskys gar nichts weiß, dann kann sie Sie nicht verstehen! Wie sollte sie denn? Dann muss ihr doch Ihr Verhalten
ganz unverständlich erscheinen, und ganz sicher hatte sie inzwischen nur noch schreckliche Angst. Deshalb ist sie davongelaufen.«
    »Ich bin der letzte Dreck in ihren Augen.« Marius’ kurzes Verweilen in einem Zustand, der ihn der Vernunft zugänglich sein ließ, war schon wieder vorüber. Er schaukelte sich wieder in die gefährliche und ausweglose Spirale von Minderwertigkeitsgefühlen, Angst und tiefster Verletztheit hinein. »Das war immer so. Habe ich dir erzählt, dass sie mich zuerst gar nicht heiraten wollte? Ständig hat sie Ausflüchte ersonnen. Wir sind zu jung, wir kennen uns noch nicht richtig, gib uns Zeit … In Wahrheit war ich ihr einfach nicht gut genug. Sie hat gehofft, es kommt etwas Besseres!«
    »Das glaube ich nicht«, sagte Rebecca, »denn sie hat Sie ja schließlich geheiratet. Marius, Sie neigen sehr dazu, alles auf sich zu beziehen, und immer in einer Weise, bei der Sie sich zum Verlierer machen. Können Sie sich nicht vorstellen, dass es Menschen gibt, von denen Sie aufrichtig geliebt und geachtet werden? Inga hat bei mir zum Beispiel immer voller Respekt und Bewunderung von Ihren offenbar überragenden Leistungen im Studium gesprochen. Verstehen Sie, eine Frau kann zutiefst fasziniert sein von Ihnen und dennoch für den sehr gewichtigen Schritt in eine Ehe länger brauchen als Sie. Das hat etwas mit der Frau zu tun und mit ihrer Persönlichkeitsstruktur, nicht automatisch mit Ihnen.«
    Er starrte sie an, feindselig jetzt und unzugänglich.
    »Ach, halt’s Maul mit dem Therapeutenquatsch«, sagte er, »das sind doch alles nur dumme Sprüche!«
    »Marius, ich …«
    »Ich hab gesagt, du sollst dein Maul halten!«, brüllte er. Er sprang auf. Seine Gesichtsfarbe war von solcher Fahlheit, dass Rebecca meinte, er müsste jeden Moment ohnmächtig werden. Stattdessen machte er wieder ein paar große Schritte
hin und her. Seine Bewegungen waren unbeherrscht und aggressiv.
    »Was tut sie jetzt, die Schlampe? Was, glaubst du, macht sie als Nächstes?«
    »Inga?«
    »Nein, die Jungfrau Maria«, blaffte er. »Natürlich Inga, Frau Kinderschützerin, von wem spreche ich denn wohl die ganze Zeit?«
    »Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was sie tut.«
    Er blieb dicht vor ihr stehen. Er stank so intensiv nach Schweiß, dass es Rebecca fast schlecht wurde. Sie versuchte, nur durch den Mund zu atmen.
    »Natürlich weißt du es, du kleines Miststück. Kannst du mir mal sagen, für wie blöd du mich hältst? In deinen Augen bin ich ein Stück Dreck, stimmt’s? Einer, der von ganz unten kommt. Mit dem man machen kann, was man will!«
    Nicht schon wieder, dachte sie, und ehe ihre Vernunft einschreiten und ihr gebieten konnte, vorsichtig zu sein und sich zu beherrschen, platzte sie heraus: »Jetzt hören Sie doch endlich mal mit dieser ewigen Leier auf!«
    Er starrte sie entgeistert an. Und sie dachte entsetzt: Du bist wahnsinnig. Provozierst ihn auch noch! Lieber Gott, wie konnte ich das sagen?
    Zu ihrer Überraschung geschah nichts. Im Gegenteil, Marius schien sich sogar ein klein wenig zu beruhigen.
    »Okay«, sagte er, »okay. Ich muss überlegen.«
    Wieder ein paar große Schritte auf und ab. Wieder fing er an zu schielen. Im Haus begann es immer stärker nach Qualm zu riechen. Rebecca hatte den Eindruck, dass erste Schwaden bereits ins Zimmer drangen.
    »Sie geht zur Polizei«, sagte er, »glaub mir, ich kenne Inga. Sie ist durch und durch schlecht. Sie hatte großes Glück, dass ich sie geheiratet

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