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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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habe, weißt du. Einen anderen hätte sie nie
gefunden. Sie war bekannt dafür, dass sie mehr oder weniger ganz Norddeutschland gebumst hat. Eine wie sie schreckt auch nicht davor zurück, den eigenen Ehemann bei der Polizei anzuzeigen.«
    Rebecca erwiderte nichts. Was hätte sie auch sagen sollen? Höchstwahrscheinlich hatte er Recht. Inga würde zur Polizei gehen.
    Beeil dich, Inga, flehte sie im Stillen, bitte, beeil dich!
    »Das heißt«, sagte Marius, »bis die Bullen hier aufkreuzen, müssen wir weg sein.«
    Sie erschrak zutiefst. Eine Flucht mit dem geisteskranken Marius durch die Nacht würde die Situation dramatisch verschärfen und am Ende eskalieren lassen. Sie sah sich bereits am Rande steil zum Meer hin abfallender Klippen entlangstolpern, vorwärts getrieben von einem Mann, dem das eigene Leben nichts mehr wert war, und über ihnen kreisten Polizeihubschrauber …
    »Das nutzt doch nichts, Marius. Wohin sollten wir fliehen? Sie finden uns doch, und …«
    »Sei still«, schnauzte er, »ich habe einen Plan. Wir nehmen das Schiff.«
    »Das Schiff?«
    »Damit segeln wir rüber nach Afrika.«
    Er war völlig verrückt.
    »Weißt du, wie viele Menschen auf dem umgekehrten Weg ertrinken? Das schaffen wir nicht. Ich habe nie einen Segelschein gemacht, ich würde dir nicht helfen können!«
    Sie duzte ihn zum ersten Mal. Es geschah unwillkürlich, vielleicht war es ein unbewusster Versuch, die Nähe wiederherzustellen, die schon einmal zwischen ihnen geherrscht hatte. Marius verwahrte sich nicht dagegen. Entweder er bemerkte es gar nicht, oder es war einfach in Ordnung für ihn.
    Er musterte sie jedoch mit einiger Verachtung. »Ich brauche
deine Hilfe nicht. Ich bin ein sehr guter Segler. Fred Lenowsky hat es mir beigebracht.«
    Die Erwähnung dieses Namens ließ Rebecca einen letzten Versuch wagen. »Marius, wir hatten uns doch überlegt, dass wir versuchen wollen, Fred Lenowsky und die Menschen, die für all das verantwortlich sind, was er dir angetan hat, zur Rechenschaft zu ziehen. Ich habe versprochen, dir zu helfen, und es ist mir wirklich sehr ernst damit. Ich sehe gute Chancen für uns. Aber nicht, wenn wir nach Afrika flüchten. Das nutzt doch niemandem etwas. Selbst wenn wir es schaffen, was ich für mehr als unwahrscheinlich halte, findest du doch auf diesem Weg niemals deinen Frieden. Und du … du machst dich strafbar. Das ist Entführung, was du tust. Wenn du erst selber straffällig geworden bist, verlierst du an Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft. Und du willst doch gewinnen, oder? Du willst es ihnen doch zeigen! Bitte, Marius, dann tu doch nichts, was dich angreifbar werden lässt!«
    Einen Moment lang konnte sie etwas wie Klarheit in seinem Blick sehen und schöpfte ganz kurz die Hoffnung, sie habe ihn erreicht und an seine Vernunft appellieren können. Doch dann war dieses Aufflackern, das auch einzig in ihrer Einbildung vorhanden gewesen sein konnte, schon wieder verschwunden. Seine Augen waren leer und dunkel.
    »Wir hauen ab«, befahl er.
    »Marius, ich habe Todesangst. Bitte, vertrau mir doch.«
    »Ich habe nichts mehr zu verlieren.«
    Sie fragte sich, was er damit meinte, und brach in Tränen aus, während er anfing, ihre Fesseln zu lösen.

    9
    Maximilian half Inga vorsichtig auf die Beine. Sie realisierte, dass sie am ganzen Körper zitterte. Vielleicht tat sie das schon die ganze Zeit, aber erst in diesem Moment fiel es ihr auf.
    »Langsam«, sagte er beruhigend, »langsam. Es ist alles in Ordnung, Inga. Beruhigen Sie sich.«
    Er hatte keine Ahnung. Nichts war in Ordnung. Sie versuchte, Worte zu formen, brachte aber keinen Laut hervor.
    »Sie werden mir gleich alles erzählen«, sagte er. Offenbar bemerkte er ihre vergeblichen Anstrengungen. »Aber erst einmal atmen Sie ganz tief durch. Kommen Sie. Setzen Sie sich in mein Auto.«
    Auf seinen Arm gestützt, humpelte sie zum Wagen. Wie schwach ihre Beine waren! Wie hatte sie überhaupt so weit laufen können? Sie sank auf den weichen Beifahrersitz, und es war ein sich auf eigenartige Weise wiederholendes Gefühl: wie damals – es schien Ewigkeiten her zu sein und lag doch nur acht Tage zurück –, als sie am Straßenrand in jenem gottverlassenen Dorf gekauert hatte, an einem glühend heißen Tag; sie war erschöpft und entkräftet gewesen und hatte auf ihren zerschundenen Füßen keinen Schritt weitergehen können. Maximilian war wie aus dem Nichts erschienen, und ebenso dankbar und erleichtert wie jetzt hatte sie sich in sein

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