Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
Teilnahme an dem heutigen Abend noch absagen, und es wäre ganz reizend von dir, mich dies wissen zu lassen, ehe ich mich vollkommen unmöglich mache.«
Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, hatte sie plötzlich Angst vor ihm. Angst vor seiner Wut und seiner tiefen Abneigung gegen sie.
Ja, dachte sie entsetzt, das ist es. Abneigung. Er mag mich nicht mehr. Ich gehe ihm nur noch entsetzlich auf die Nerven. Da ist sonst nichts mehr. Keine Liebe, keine Sympathie, kein Vertrauen. Nichts. Abneigung, die in Momenten wie diesem bis in den Hass hineinreicht.
»Du kannst natürlich ins Bad gehen«, flüsterte sie mit letzter Kraft, drehte sich dann um, damit er ihre nun haltlos strömenden Tränen nicht bemerkte.
Wenn er mich jetzt nur für einen Moment in den Arm nähme, dachte sie, wissend, dass er dies nicht tun würde. Und natürlich tat er es nicht.
Einen Moment später hörte sie, wie im Bad die Dusche zu rauschen begann.
Im Garten lachten die Kinder.
Kenzo bellte das Nachbarhaus an.
Karen weinte.
Es war ein Sommerabend wie viele andere auch.
8
Albert kochte einen Tee nach dem anderen, und Rebecca trank in durstigen Zügen Tasse um Tasse leer. Zweimal ging sie auf die Toilette und betrachtete danach voller Verwunderung ihr Gesicht im Spiegel: Erstaunlich, wie lange sie sich
hier aufhielt. Erstaunlich, dass sie sich bewirten ließ. Erstaunlich, dass sie Alberts Geplauder aushielt.
Er redete hauptsächlich über Felix. Darüber, wie sehr Felix die Libelle geliebt hatte. Welch ein guter Segler er gewesen war. Wie viel Spaß es gemacht habe, mit ihm über Schiffe zu sprechen. Wie oft sie zusammen gesessen und getrunken und über ihre gemeinsame Leidenschaft gesprochen hatten.
»Immer die Besten«, murmelte er zwischendurch, »immer die Besten muss es erwischen.«
Rebecca wusste, sie trank in erster Linie so viel Tee, um sich an der Tasse festzuhalten, und außerdem, um auf irgendeine Weise mit ihrer Nervosität fertig zu werden. Es ging nicht so sehr um das Schiff. Auch, wenn sie ehrlich war, nicht um das Schicksal der beiden jungen Leute. Sondern darum, dass sie dies hier durchstand. Die Nähe eines anderen Menschen. Diesen stundenlangen Aufenthalt außerhalb der vertrauten Mauern ihres Hauses.
Stundenlang?
Als sie zum zweiten Mal von der Toilette zurückkehrte, kam sie auf die Idee, auf ihre Uhr zu schauen. Es war Viertel nach sieben. Vor zwei Stunden war sie von zu Hause weggefahren, saß seitdem mit Albert in dessen Büro zusammen. So lange hatte sie ihr Haus noch nie verlassen.
Nicht nach Felix’ Tod.
Als sie das Büro betreten hatte, stand Albert am Fenster und suchte den Horizont mit seinem Fernglas ab.
»Niemand zu sehen«, sagte er.
»Ich weiß nicht, ob es sich für mich lohnt, noch länger zu warten«, meinte Rebecca. Sie trat neben ihn, blickte hinaus in den sturmdurchtosten Abend. Es schien ihr dunkler zu sein als sonst um diese Zeit.
»Also, ich kann nur hoffen, dass sie wenigstens in einer Bucht liegen und es jetzt nicht mehr riskieren, loszusegeln«,
sagte Albert. »Ich meine, der Junge ist zweifellos ein begabter Segler, aber …« Er hatte sein Fernglas für einen Moment sinken lassen, hob es nun jedoch wieder. Rebecca hörte, dass er plötzlich scharf Luft holte. »Das gibt’s doch nicht …«, murmelte er.
Sie sah das Schiff im selben Moment. Es war hinter der Landzunge verborgen gewesen, daher hatten sie es vorher nicht erkennen können, aber nun hüpfte es wie ein kleines Stück Treibholz auf die Einfahrt zwischen den zwei Leuchttürmen zu. Es war offensichtlich ohne Segel und ohne jede Steuerung unterwegs, ein Spielball der Elemente.
Aber jemand muss es steuern, korrigierte Rebecca ihre Gedanken sofort, durch Zufall taucht es nicht in der Bucht auf.
»Ist das die Libelle ?«, fragte sie aufgeregt.
»Ich bin nicht ganz sicher«, antwortete Albert, »aber zumindest könnte sie es sein.«
»Sie ist ohne Segel.«
»Die schafft es nie in den Hafen. Ich versteh das nicht … der Typ wirkte doch ganz geübt …«
»Aber vielleicht ist sie es gar nicht.«
»Ich glaube doch.« Albert legte sein Fernglas auf den Tisch, trat an einen Schrank, zog seine orangefarbene Schwimmweste heraus und begann sie anzulegen. »Ich muss raus. Ich weiß nicht, was die da machen, aber sie erwischen die Einfahrt nicht. Ich muss das Schiff reinholen.«
»Ist das nicht viel zu gefährlich?«
»Ich krieg das schon hin. Ich habe schon ganz andere Sachen gemeistert.« Er ging zur Tür. » Warten Sie
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