Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
hier?«
Sie nickte.
»Passen Sie auf sich auf«, bat sie.
In der nächsten halben Stunde verfolgte sie angespannt durch das Fenster, wie Albert in seinem kleinen Motorboot durch
das Hafenbecken tuckerte und Kurs auf das Schiff nahm, das sich bereits wieder ein Stück von der Einfahrt entfernt hatte und in das tobende Meer zurückzutreiben drohte. Inzwischen glaubte Rebecca nicht mehr, dass es sich um die Libelle handelte; sie konnte sich nicht vorstellen, dass ein professioneller Segler wie Marius tatsächlich unfähig sein sollte, das Schiff in den Hafen zu steuern. Aber in jedem Fall musste Albert helfen, und die unerschrockene, mutige Art, wie er an das Unternehmen heranging, nötigte ihr großen Respekt ab.
Kein Wunder, dass Felix ihn so mochte, dachte sie, und gleich darauf überschwemmte sie schon wieder eine Welle des Schmerzes, weil auch diese Rettungsaktion, wie so vieles andere, etwas war, das sie nun nicht mehr mit Felix teilen konnte. Sie konnte nicht nach Hause gehen und ihm aufgeregt erzählen: »Stell dir vor, Albert ist bei diesem Sturm mit dem Schlauchboot vor den Hafen gefahren, um ein Schiff hereinzuholen! «
Und nie wieder würde sie das interessierte Blitzen in seinen Augen sehen, mit dem er auf alles reagierte, womit sie ankam; niemals war er gleichgültig oder gelangweilt gewesen, stets hatte er sofort gesagt: »Wirklich? Das musst du mir ganz genau erzählen!«
Er hatte ihr damit das Gefühl gegeben, völlig von ihm angenommen zu sein, ein Teil von ihm zu sein, wie er ein Teil von ihr war. Nichts, was sie beschäftigte, ließ ihn kalt, so wie sie umgekehrt Anteil an allem nahm, was ihn interessierte.
Aber das war das Schreckliche jetzt: Indem sie so verwoben gewesen waren, bedeutete sein Tod, dass ein wesentlicher Teil ihrer selbst gestorben war. Die Hälfte ihres Herzens, ihrer Seele, ihres Gehirns. Ihrer Atmung, ihres Sehens und Hörens, Schmeckens, Riechens, Fühlens. Deswegen konnte sie Speisen nicht mehr auf der Zunge fühlen, deswegen klang das Rauschen der Brandung so fern, hatte die Sonne ihren
goldenen Schein verloren und das Blau des Himmels seine Leuchtkraft. Alles hatte sich entfernt, war blass, unwirklich, spielte sich hinter einer Nebelwand am Horizont ab. Nur nicht der Schmerz. Der stand immer direkt neben ihr, bereit, jederzeit wieder über sie herzufallen. Im selben Maß, in dem alles andere an Kraft verloren hatte, war seine Kraft gewachsen. Er war die einzig echte Realität in ihrem Leben.
Sie schlug mit der Faust auf Alberts alten Schreibtisch, der vor dem Fenster stand. »Verdammt«, murmelte sie. Sie wollte nicht, dass der Schmerz wieder Macht über sie gewann. Sie wollte in das Stadium der Gefühllosigkeit zurück, das sie sich so mühsam aufgebaut hatte. Sie hatte es einmal geschafft, sie würde es wieder schaffen.
Kein Gedanke jetzt mehr an Felix. Kein einziger Gedanke mehr. Nicht überlegen, wie es sein müsste, ihm von diesem Nachmittag zu erzählen. Unweigerlich stürzte sie dies in eine Verzweiflung, die ihr den Atem nahm und sie mit der Schwärze und Leere umgab, die sie aus der ersten Zeit nach dem Unfall kannte. Die sie nicht aushalten konnte.
Um sich abzulenken, griff sie nach dem Fernglas. Albert hatte fast die Ausfahrt erreicht. Sein Boot schaukelte schon im Hafenbecken bedenklich, aber gleich musste er in die offene See hinaus, und es würde noch schlimmer werden. Inzwischen hatten sich, trotz des brüllenden Sturms, Schaulustige an der Pier eingefunden, Männer hauptsächlich, die im Wind schwankten wie Gräser, die aber begriffen hatten, dass eine Rettungsaktion vor sich ging und dass womöglich noch spannende Ereignisse mitzuerleben waren.
Alberts Boot verschwand um die Mauer, Rebecca konnte es nicht mehr sehen. Er musste das Schiff fast erreicht haben, aber zweifellos begann damit der gefährlichste Teil: Es musste ihm gelingen, an Bord zu klettern, und das stellte bei diesem Seegang ein waghalsiges Unterfangen dar.
Um sich abzulenken, steckte sie den Tauchsieder ins Wasser, spülte die Teekanne aus, hängte frische Teebeutel hinein. Sowohl Albert als auch die Menschen, die er dort draußen gerade rettete, würden vielleicht das Bedürfnis nach einem heißen Getränk haben, wenn sie zurückkehrten, durchnässt und abgekämpft wie sie sein mussten. In einem Regal entdeckte sie eine Flasche mit Rum. Ein Schuss davon konnte wahrscheinlich auch nichts schaden.
Sie ging auf und ab, vermied es, nach draußen zu sehen, betrachtete eine
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