Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
mit Übelkeit und hohem Fieber ausbrütete und sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, und so fragte Karen auch sofort: »Bist du krank?«
Er sah sie gereizt an, was bedeutete, er sah sie so an wie nahezu ständig in der letzten Zeit. »Wieso sollte ich krank sein?
Ich will mich nur umziehen wegen der Veranstaltung nachher. «
»Welche Veranstaltung?«
Er ging an ihr vorbei ins Schlafzimmer, band sich dabei die Krawatte ab. »Das hatte ich dir doch erzählt. Sechzigster Geburtstag vom Vorstandsvorsitzenden. Er gibt ein Abendessen im Vier Jahreszeiten .«
Karen war sicher, dass Wolf ihr nichts davon erzählt hatte, sagte aber nichts. Er würde das Gegenteil behaupten und sich nur in seiner Ansicht bestärkt sehen, dass sie eine Tagträumerin war, die von der Wirklichkeit nur noch wenig mitbekam.
»Offenbar hat er die Ehepartner nicht mit eingeladen«, sagte sie leichthin. Sie war Wolf ins Schlafzimmer gefolgt. Er warf gerade sein Jackett aufs Bett und begann sein Hemd auszuziehen.
»Doch«, entgegnete er auf ihre Bemerkung. Er sah sie nicht an, sein Tonfall war so leicht wie ihrer. »Aber mir war klar, dass du nicht mitmöchtest.«
»Wieso war dir das klar? Du hast mich ja gar nicht gefragt. «
»Du willst doch nie irgendwohin mit!«
»Das stimmt nicht. Es hieß nur jahrelang immer, dass ich bei den Kindern bleiben muss. Aber inzwischen könnte man sie durchaus mal allein lassen.«
»Okay, wie du meinst.« Er stand jetzt in seiner Unterhose vor ihr. Sie fand, dass er einen schönen Körper hatte, schlank und muskulös, nur zu blass. Nach den Ferien würde er umwerfend aussehen. »Ich werde in Zukunft daran denken.«
Er nahm ein frisches Hemd aus dem Schrank, hängte es aber gleich darauf zurück. »Ich wollte ja erst duschen«, meinte er. »Hör mal, Karen, irgendwie machst du mich nervös, wie du da herumstehst. Du schaust wie ein waidwundes
Reh. Heute Abend können wir leider nichts mehr an der Situation ändern. Ich kann dich jetzt nicht unangesagt mitbringen. «
Seine Tagesklamotten lagen zerknüllt auf dem Bett. Es war klar, dass Karen sie wegräumen würde. So klar, dass er dazu gar nichts mehr sagen musste.
Wenn er mich doch wenigstens einmal bitten würde, etwas für ihn zu tun, dachte sie, anstatt es stillschweigend vorauszusetzen!
»Wer ist deine Tischdame?«, fragte sie.
Er hatte ins Bad gehen wollen, blieb jedoch abrupt stehen. »Wie bitte?«
»Na ja, bei so einem festlichen Essen hat doch jeder Herr eine Tischdame. Da du ohne mich gehst, wird es ja jemand anderen geben.«
» Jemand anderen geben … also, die Art, wie du manchmal Dinge formulierst, Karen, ist schon eigenwillig. Das klingt, als ob … Ich habe keine Ahnung, wer meine Tischdame ist. Vielleicht sitze ich neben der Frau eines Kollegen. Oder neben einer meiner Mitarbeiterinnen. Was weiß ich!«
Sie fand, dass er ungewöhnlich gereizt auf eine im Grunde harmlose Frage reagierte, und das machte ihr plötzlich Angst. Obwohl sie sich fest vorgenommen hatte, sein heutiges Mittagessen beim Italiener nicht anzusprechen, konnte sie sich auf einmal nicht mehr zurückhalten. »Wer ist die Frau, mit der du heute essen warst? Die junge mit den langen Haaren.«
Er war wie vom Donner gerührt. » Wie, zum Teufel … Ich meine, woher weißt du, mit wem ich mittags essen gehe?«
Sie zuckte mit den Schultern. Sie bedauerte nun, diese Frage ausgesprochen zu haben, weil ihr jetzt schon klar war, dass die Situation im Streit eskalieren würde, aber natürlich war es dafür zu spät. »Die Kinder hatten heute ein Sportfest
in der Schule und sind erst vor einer Stunde heimgekommen. Deshalb bin ich mittags in die Stadt gefahren. Ich habe mir zwei neue Jeans gekauft, und dann dachte ich …«
Er runzelte die Stirn. »Ja?«
»Ich hatte vor, bei unserem alten Italiener etwas zu essen. Aber als ich dort hinkam, sah ich dich. Mit einer anderen Frau.«
Wolf hatte sich von seiner Überraschung erholt und war, wie üblich, in Sekundenschnelle gewappnet und zum Gegenangriff bereit. » Schon wieder, mein Gott! Ich sah dich mit einer anderen Frau … Langsam erscheinst du mir paranoid, Karen. Was willst du mir eigentlich sagen? Oder besser, was willst du mich fragen? Ob ich ein Verhältnis mit einer anderen Frau habe?«
» Nein, ich …«
» Du stehst hier und verhörst mich regelrecht. Ich komme nach einem verdammt harten Tag nach Hause, habe wenig Zeit, muss mich umziehen, um mich dann in einen anstrengenden Abend zu stürzen, der mir, wie du
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