Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
Vom Netzwerk:
gerade noch an einem Tau festhalten und verhindern, auf die andere Seite geschleudert zu werden. Sie schluckte Salzwasser, rang nach Luft, verschluckte sich, hustete. Der Schmerz in ihrem Kopf hämmerte im Stakkato – wie war das mit der Gehirnblutung?, fragte sie sich, oder könnte ich dann gar nicht mehr hier herumkriechen? –, und aus ihrer Schulter schossen glühende Pfeile den Arm hinab. Sie schaute sich um, konnte aber zwischen den Wellenbergen nirgendwo einen im Wasser treibenden Körper entdecken. Was natürlich nicht viel aussagte: Marius konnte längst ganz woanders herumschwimmen, außerdem waren die Wellen so hoch, dass es ohnehin nicht leicht war, jemanden dazwischen zu entdecken.
    Großsegel.
    Sie musste jetzt unbedingt diesen Gedanken im Kopf behalten. Das Segel musste herunter, und dann musste sie versuchen, den Motor wieder anzuwerfen. Als sie unter Deck saß, hatte sie festgestellt, dass er verstummt war, aber sie hoffte, dass dies nicht auf einen leeren Tank hindeutete oder auf einen Defekt hinwies. Vielleicht wäre es schlauer, zuerst den Motor zu starten und das Segel erst einzuholen, wenn sie sicher sein konnte, dass der Motor ansprang. Denn im Ernstfall würde sie das Segel nie wieder setzen können, wenn sie es erst abgefiert hatte, aber abgesehen davon hatte sie ohnehin keine Ahnung, wie sie unter Segel zum Hafen zurückkehren sollte. Sie beschloss, über diese Möglichkeit vorläufig nicht weiter nachzudenken.

    Schmerzgepeinigt schob sie ihren nassen Körper in Richtung Anlasser; inzwischen fror sie heftig, mutmaßte aber, dass dies nicht von den tatsächlichen Temperaturen herrührte, sondern von ihren Schmerzen und der langen Bewusstlosigkeit. Außerdem glaubte sie, etwas Fieber zu haben. War es nicht erst wenige Stunden her, dass sie gedacht hatte, dies sei einfach ein fast perfekter Tag?
    Der Schlüssel steckte, aber nichts rührte sich, als sie ihn umdrehte. Sie versuchte es ein zweites und ein drittes Mal. Nichts geschah. Jetzt liefen ihr die Tränen über die Wangen.
    »Komm schon«, murmelte sie, »los doch, du verdammtes Ding!«
    Sie vermutete, dass sie und Marius den Motor nicht lange genug hatten laufen lassen, um die Batterie ausreichend aufzuladen, und dass sie daher nun vor demselben Problem stand, das sich auch unmittelbar vor dem Aufbruch am Morgen gezeigt hatte. Wie war das gewesen mit der Kurbel, die auf die Kurbelwelle des Motors hatte gesetzt werden müssen? Sie hatte leider nicht genau aufgepasst und hielt es für mehr als fraglich, ob es ihr gelingen würde, diese Aktion nun allein zu wiederholen.
    Der Hauptschalter in der Kajüte. Das war immerhin noch eine Möglichkeit.
    Sie machte sich wieder auf den Weg nach unten, im wilden Seegang schwankend wie eine Betrunkene. Es mochte an der aufkeimenden Panik liegen – ich kann nicht segeln, wenn das Ding nicht anspringt, bin ich verloren – , dass ihr das heftige Auf und Ab der Wellen plötzlich Übelkeit verursachte. Sie kam unter Deck an, wollte noch die Toilette erreichen, schaffte es aber nicht mehr und erbrach sich quer über den Fußboden. Blieb dann erschöpft minutenlang liegen, wartete, dass sich ihr Magen beruhigte. Sie hatte einen widerlichen Geschmack im Mund, aber zum Glück fiel ihr ein, dass im
Inneren der Bank die Wasserflaschen verstaut lagen, die sie und Marius als Proviant mitgenommen hatten. Sie klappte den Deckel hoch, wozu sie zwei Anläufe und ihre ganze Kraft brauchte.
    Na toll. Sie war schlaff wie ein Weißbrot. Wie sie in diesem Zustand mit dem Segel fertig werden sollte, war ihr völlig schleierhaft.
    Sie trank ein paar Schlucke Wasser und merkte, wie ein wenig Lebenskraft zurückkehrte. Sie schraubte den Deckel wieder zu, schob sich an den Hauptschalter heran, betätigte ihn. Robbte wieder nach oben, keuchend, spuckend, ständig Gischtfetzen schluckend. Duckte sich unter dem Baum durch, der immer wieder wie ein gewaltiges Schwert über sie hinwegfegte. Sie drehte den Zündschlüssel um und hielt dabei den Atem an. Der Motor sprang an, als sei nichts gewesen. Sie betrachtete ihn wie ein Wunder und hätte vor Erleichterung fast wieder zu weinen begonnen. Es gab einen funktionierenden Motor. Und ein Steuer.
    Sie konnte es schaffen.
    Und jetzt musste sie nur noch das verflixte Segel einholen.
    7
    Wolf erschien schon um sechs Uhr zu Hause, was äußerst ungewöhnlich und seit Jahren nicht mehr vorgekommen war. Zuletzt war er zu so früher Stunde daheim aufgekreuzt, als er einen Magen-Darm-Infekt

Weitere Kostenlose Bücher