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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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Seekarte, die an der Wand hing, wischte mit einem Taschentuch den Staub von einem Messinganker, der an der Wand befestigt war.
    Dann warf sie das Taschentuch eilig in den Papierkorb; sie musste wirklich die Angewohnheit ablegen, an allem herumzuwischen. Maximilian hatte Recht, das Putzen war zu einer Manie bei ihr geworden. Keine Fläche, kein Gegenstand, nichts blieb von ihr verschont. Es war eine Überlebensstrategie gewesen, aber die brauchte sie ja nicht mehr. Schließlich würde sie nicht mehr lange leben.
    Als sie es endlich wieder wagte, hinauszusehen, fuhr das Schiff in den Hafen ein, immer noch wild schwankend, aber doch offenkundig von einer sicheren Hand gesteuert. Das bedeutete, Albert hatte es geschafft. Rebecca atmete tief durch, hielt sich erneut das Fernglas vor die Augen. Jetzt konnte sie deutlich erkennen, dass es sich um die Libelle handelte. Sie fragte sich, was passiert sein mochte.
    Es kostete Albert einige Mühe, das Schiff zwischen den anderen Schiffen hindurch zu seinem Platz zu steuern und dort anzulegen. Eine Gruppe von Männern – Rebecca vermutete, dass es sich um andere Segler handelte – standen bereit und halfen ihm, die Libelle zu vertäuen. Selbst auf ihren Liegeplätzen hüpften die Boote noch wild auf und ab, schlugen die Masten gegeneinander. Rebecca sah, dass Albert auf den Anlegesteg
sprang, dann seine Hand ausstreckte und einer offensichtlich total entkräfteten Person an Land half. Es schien sich um Inga zu handeln. Sie konnte sich kaum auf den Füßen halten, schaffte es erst beim dritten Anlauf, das Schiff zu verlassen. Von Albert mehr getragen als gestützt, humpelte sie zur Pier hinüber. Erstaunlicherweise folgte den beiden niemand. Eine dritte Person schien nicht auf dem Schiff gewesen zu sein.
    Wo war Marius?
    Rebecca füllte zwei Becher mit heißem Tee, fügte Rum und Zucker hinzu, lief dann zur Tür des Büros und öffnete sie. Ein klatschnasser, keuchender Albert wankte herein. An ihm hing wie ein nasser Sack eine zu Tode erschöpfte Inga. Sie sah entsetzlich aus: Sie hatte Blut an den nackten Beinen und an der Schläfe, auf ihrem T-Shirt waren die Reste von Erbrochenem zu sehen. Sie zitterte am ganzen Körper, wollte dauernd etwas sagen und brachte doch kein verständliches Wort heraus. Als sie die Hand hob, um sich eine nasse Haarsträhne aus der Stirn zu wischen, sah Rebecca, dass auch ihre Hände aufgeschrammt waren und bluteten.
    »Lieber Himmel, Inga, was ist denn passiert?« Sie nahm Albert, der sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, die taumelnde Inga ab und geleitete sie zu einem Stuhl, drückte sie sanft hinunter. »Sie sehen ja furchtbar aus. Wo ist Marius?«
    Inga brachte noch immer kein Wort hervor, schaffte es aber wenigstens, den angebotenen Becher mit Tee zu ergreifen und an ihre Lippen zu führen. Sie trank in kleinen Schlucken und konnte nicht aufhören zu zittern.
    »Ganz ruhig«, tröstete Rebecca, »es kommt alles wieder in Ordnung.«
    Sie war keineswegs so ruhig, wie sie sich gab. Irgendetwas Schreckliches war geschehen, und womöglich war Marius in Lebensgefahr – oder sogar schon tot. Ertrunken.

    Der sportliche, junge Mann … Sie konnte sich das kaum vorstellen.
    Sie wandte sich zu Albert um, der an der Wand lehnte und schwer atmete.
    »Albert, hat sie zu Ihnen irgendetwas gesagt? Haben Sie Marius gesehen?«
    Er schüttelte den Kopf. »An Bord war niemand außer ihr. Keine Spur von dem jungen Mann. Und sie konnte mit mir auch nicht sprechen. Sie hat offensichtlich allein das Segel eingeholt und die Libelle unter Motor hierher zurückgebracht. Bei diesem Sturm … kein Wunder, dass sie halb tot ist!«
    »Nehmen Sie sich doch auch einen Tee, Albert«, sagte Rebecca, »Sie sind ja völlig erledigt.«
    Er trank in gierigen Zügen.
    »Wir müssen den Seenotdienst verständigen«, sagte er, »wir müssen nach diesem … wie heißt er? … Marius suchen lassen.«
    »Aber dazu müssen wir erst mal wissen, was passiert ist«, meinte Rebecca. Sie strich Inga über die nassen Haare, beugte sich zu ihr hinunter. »Inga, wir müssen etwas wegen Marius unternehmen«, sagte sie vorsichtig, »können Sie sprechen? Können Sie mir erzählen, was geschehen ist?«
    Ingas Zähne schlugen leicht aufeinander, aber sie bemühte sich, Worte zu formen.
    »Ich weiß nicht«, brachte sie hervor, »er war weg, als ich wach wurde.«
    »Als Sie wach wurden?«
    »Ich … bin gestürzt. Mein Kopf …« Sie hob die Hand, befühlte ihre Wunde an der Schläfe, zuckte

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