Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
bemerken schien, dass sie beide den ganzen Betrieb aufhielten und dass alle um sie herum ungeduldig wurden. Der Vorfall war später noch manchmal zwischen ihnen zur Sprache gekommen, allerdings meist auf eine scherzhafte Art. Wenn sie mit Kommilitonen zusammensaßen und über ihr Kennenlernen berichteten. Inga hatte dann oft lachend gesagt: »Ich bin fast gestorben vor Peinlichkeit! Und Marius gab mir in aller Gemütsruhe Empfehlungen, welches Essen das beste sei, welches nicht und warum. Wie in einem Feinschmeckerlokal. Um uns herum waren alle genervt, aber ihn interessierte das gar nicht!«
Marius pflegte dann zu sagen: »Wir bezahlen schließlich dort für das Essen. Also können wir auch in Ruhe wählen, was wir haben wollen.«
Gelächter ringsum. Typisch Marius! Der Sonnyboy, der sich das Leben so zurechtbastelte, wie es schön für ihn war. Und der sich einen Dreck darum scherte, ob ihn eine griesgrämige Frau an der Essensausgabe anblaffte …
Ein einziges Mal, das fiel Inga plötzlich ein, hatten sie ganz ernst über dieses Vorkommnis gesprochen.
»Komisch«, sagte sie, »das hatte ich ganz verdrängt.«
»Was denn?«, fragte Rebecca.
»Vor ungefähr eineinhalb Jahren hatten wir einen riesigen Streit. Es ging um eine Situation in einem Supermarkt. Es war Samstag, der Laden war gerappelt voll. Sie hatten nur eine Kasse geöffnet, und die Schlange staute sich durch sämtliche Gänge. Es war nervig, zumal wir nur eine Flasche Milch zu bezahlen hatten, aber man hätte das Ganze auch komisch sehen können. Manche taten das. Es … es war so eine Stimmung, bei der Menschen, die einander ganz fremd sind, Witze über den Schlamassel reißen, in dem sie stecken. Weil es ja eben nicht wirklich ein ernster Schlamassel war.« Inga hielt kurz inne, sie suchte nach Worten. »Ich meine, es war ärgerlich, aber nicht richtig schlimm. Solche Dinge passieren eben. Und eigentlich alberten alle herum …«
»Außer Marius?«, fragte Rebecca.
Inga nickte. »Außer Marius. Ich merkte zuerst gar nicht, dass seine Laune offenbar auf eine Explosion zusteuerte. Vor uns stand ein Typ, der auch nur ganz wenig kaufen wollte, ein Päckchen Butter oder eine Tüte Mehl, und der witzelte herum, dass wir ja wohl die totalen Verlierer bei der Nummer hier seien … man habe nur rasch eine Kleinigkeit holen wollen, und nun dürfe man den Samstagnachmittag im Supermarkt verbringen … solche Dinge eben. Ich beteiligte mich, ich fand das alles ja auch nicht so schlimm …« Sie überlegte. »Und dann sagte der andere plötzlich: ›Wir sind die geborenen Looser ‹, oder so ähnlich, jedenfalls fiel das Wort Looser . Und plötzlich rastete Marius aus. Es war … furchtbar. Er brüllte los. Dass er kein Looser sei, und was der andere sich einbilde, so etwas zu sagen. ›Ich bin nicht der Letzte!‹, schrie er. ›Ich bin jemand, und ich lasse mir das hier nicht gefallen!‹«
Inga schüttelte den Kopf. »Seltsam«, sagte sie, »jetzt fällt
mir das wieder ein. Genau dieselben Worte benutzte er nämlich auf dem Schiff. Ich bin nicht der Letzte! Ich bin jemand! Genau das!«
Rebecca sah sie aufmerksam an. »Das ist aber sehr merkwürdig, Inga. Zumindest in jenem Supermarkt kann es aber kaum in einem Zusammenhang mit mir gestanden haben.«
»Nein. Bestimmt nicht. Aber es war so, als … als empfinde er die Situation, nämlich dort so unmäßig lange warten zu müssen, als auf sich gerichtet. Oder besser: gegen sich gerichtet. Als passiere das alles einzig, um ihn zu quälen und zu schikanieren. Es war … er wirkte richtig krank auf mich!«
»Wie endete die Geschichte?«
»Ach, ganz furchtbar. Er lief nach vorn und schrie die Kassiererin an. Was sie sich einbilde, und so ließe er sich nicht behandeln. Die Ärmste war fix und fertig, sie war ohnehin völlig überfordert, und das Letzte, was sie brauchen konnte, war ein Kunde, der nun auch noch durchdrehte. Von der Belegschaft in dem Supermarkt hatten fast alle die Grippe, deshalb hockte sie dort allein, sie konnte für das alles nichts … Ich habe mich in Grund und Boden geschämt. Alle Leute waren verstummt und starrten Marius entsetzt an. Zum Schluss knallte er die Milchflasche in irgendein Regal, nahm mich an der Hand, schnauzte mich an, dass wir nun gehen würden, und dann rauschten wir hinaus.« Inga seufzte. »Ich habe mich nie wieder getraut, dort einzukaufen. Und daheim stritten wir dann stundenlang. Er wollte nicht einsehen, dass sein Benehmen unmöglich gewesen war.«
»Er
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