Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
einer Antwort. Dann sagte sie: »Ich verstehe Sie sehr gut, Inga. Wirklich. Ich kann mir den Charme Ihres Mannes – Sie haben übrigens ganz schön schnell geheiratet, nicht? – gut vorstellen. Nur – irgendwo in seinem Leben gibt es ein massives Problem, das Sie offensichtlich nicht kennen, dessen Wirkung Sie aber zu spüren bekommen haben. Wenn er zurückkehrt – und ich finde, wir sollten wirklich noch nicht das Schlimmste annehmen –, dann müssen Sie das mit ihm klären. Sie können nicht damit leben und es ignorieren. Das wird auf die Dauer nicht funktionieren.«
»Nein«, sagte Inga, »da haben Sie Recht.« »Ich denke«, sagte Rebecca, »wir wären der Lösung des Rätsels schon ein Stück näher, wenn wir herausfinden könnten, weshalb er offenbar auch mich als einen Menschen empfindet, der ihm Unrecht getan hat. Der ihm das Gefühl gegeben hat, minderwertig zu sein. Wo könnte es zwischen seinem und meinem Leben einen Schnittpunkt geben?«
Die Möwen schrien wieder, und in der Stimmung von Ratlosigkeit und Beunruhigung, die plötzlich zwischen den beiden Frauen herrschte, schienen die Schreie einen bedrohlichen Unterton in sich zu tragen.
»Wo könnte es einen Schnittpunkt geben«, wiederholte Inga.
Sie tappte vollständig im Dunkeln.
Dienstag, 27. Juli
1
An diesem Dienstag beschloss Karen, aus dem gemeinsamen Schlafzimmer mit Wolf auszuziehen. Die Situation war für sie unerträglich geworden – gerade nach dem Wochenende, an dem er viel zu Hause gewesen war und es dennoch fertig gebracht hatte, fast kein Wort mit ihr zu sprechen. Seit dem Zusammenstoß an jenem Abend hatte sich die eisige Kälte, die er ihr entgegenbrachte, noch verstärkt, auch wenn Karen zuerst geglaubt hatte, dies sei eigentlich gar nicht mehr möglich.
Sie hatte am Samstagabend den Anlauf unternommen, eine Aussprache herbeizuführen. Die Kinder hatten Übernachtungsbesuch und vergnügten sich mit ihren Freunden im Keller, wo sie ein Tischtennisturnier organisierten. Karen hatte im Kamin auf der Terrasse ein Feuer angezündet. Wolf kam erst nach neun Uhr aus seinem Arbeitszimmer, als die Dunkelheit der Julinacht bereits hereingebrochen und der Garten voll dunkler Schatten, Blätterrauschen und einem geheimnisvollen Wispern war. Karen trug ihre neuen Jeans, in denen sie, wie sie im Spiegel noch einmal festgestellt hatte, wirklich eine tolle Figur hatte, und ein tief ausgeschnittenes T – Shirt. Sie hatte sich geschminkt und zum ersten Mal seit langer Zeit wieder Parfüm benutzt.
Vielleicht, hatte sie gedacht, war ich wirklich zu nachlässig geworden.
Dann jedoch gewann sie den Eindruck, dass Wolf ihr verändertes Aussehen überhaupt nicht zur Kenntnis nahm. Er kam auf die Terrasse, sah sie dort sitzen und wollte wieder im Haus verschwinden, aber sie sprach ihn an.
»Wolf! Du bist fertig? Setz dich doch noch ein bisschen zu mir. Es ist ein wunderschöner Abend!«
Stirnrunzelnd betrachtete er das flackernde Feuer im Kamin. »Wieso hast du denn ein Feuer angemacht? Willst du grillen?«
Mut und Hoffnung sanken unter seinem unwirschen Ton. »Nein … ich fand nur … es sieht doch ganz romantisch aus, oder? Ich … ich denke, wir haben die Romantik in unserem Leben sehr vernachlässigt.«
Er seufzte. »Und jetzt willst du sie wieder einführen, oder was?«
Sie stand auf – er sollte ihre tolle, schlanke Figur sehen –, trat an den Gartentisch, nahm ein unbenutztes Glas und zog die Champagnerflasche, an der sie selbst sich schon reichlich bedient hatte, aus dem Kühler. Sie schenkte ihm ein, reichte ihm das Glas. »Für dich.«
Er nahm es, wartete aber nicht ab, um mit ihr anzustoßen, sondern trank ein paar Schlucke. Er trat an den Rand der Terrasse, betrachtete das dunkle, stumme Nachbarhaus.
»Die sind offenbar länger weg«, sagte er.
Sie stellte sich zu ihm. Kenzo, der sich neben dem Kamin zum Schlafen zusammengerollt hatte, hob den Kopf und knurrte.
»Sei still, Kenzo«, sagte Karen, »lass endlich das Haus in Ruhe!«
»Kläfft er das Haus immer noch an?«, fragte Wolf.
»Ständig. Irgendwann werden sich die Leute ringsum sicher beschweren. Keine Ahnung, was in ihn gefahren ist.«
Wolf zuckte mit den Schultern.
»Niemand kümmert sich um den Garten drüben«, sagte Karen, »die Pflanzen vertrocknen immer mehr.«
Wolf seufzte wieder. »Das geht uns doch gar nichts an. Musst du dich unbedingt in Angelegenheiten mischen, die mit dir nichts zu tun haben?«
»Ich mische mich gar nicht ein. Der Gärtner …
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