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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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möchte er sicher nicht mit derartigen Scheußlichkeiten in Verbindung gebracht werden. Außerdem hat er nicht das geringste Interesse daran, dass die Vergangenheit seiner Frau allzu bekannt wird.«
    »Was hat er denn gegen deine Vergangenheit?«
    »Na ja, sie ist ihm einfach nicht repräsentativ genug. Was war ich schon? Eine Sozialpädagogin, die für das Jugendamt arbeitete und Problemfamilien betreute.«
    »Das ist aber nichts, wofür man sich schämen muss!«
    »Nein. Aber für jemanden, der im Vorstand einer großen Warenhauskette sitzt, ist das Umfeld, in dem wir uns damals bewegten, irgendwie … schmuddelig. Er hat es einfach nicht gern, wenn ich davon spreche.«
    »Bert findet auch nicht, dass wir zur Polizei gehen müssten«, sagte Clara. »Allerdings bin ich mir nicht ganz sicher, ob er nicht einfach nur Angst hat, ich könnte völlig durchdrehen, wenn er von der Polizei spricht. Ich glaube, für ihn ist die Sache sowieso abgehakt, nachdem sich der Schreiber länger nicht gemeldet hat.«
    Agneta sagte nichts.

    Welch ein vollkommener Sommertag, dachte Clara.
    Irgendwo in der Ferne zog ein Sportflugzeug durch den lichtblauen Himmel, ganz leise konnte man seinen Motor brummen hören. Vögel zwitscherten, Bienen summten. Aus einem der oberen Zimmer klang das leise Geplapper Maries, die gerade aus ihrem Mittagsschlaf erwachte.
    In Clara war wieder die Angst. Diese dunkle, bedrohliche Wolke, die sie seit Wochen immerzu sah, gerade in Momenten wie diesem, die schön und klar und sonnig waren. Für sie war die Sache nicht abgehakt. Vielleicht würde sie es nach Jahren sein, wenn sich der Schreiber bis dahin immer noch nicht wieder gemeldet hatte. Aber es würde lange dauern, sehr lange, und manchmal fragte sie sich, ob ein kleiner Schatten der Wolke nicht sogar bleiben würde – für immer.
    »Er ist da draußen«, sagte Agneta, »er ist da draußen mitsamt seinem Hass und seinen Fantasien darüber, was er mit uns anstellen möchte. Warum weigere ich mich zu glauben, dass es mit den Briefen abgetan ist? Dass er fertig ist, sich abreagiert hat und nun Ruhe geben wird? Warum, verdammt noch mal, fürchte ich mich so?«
    Sie sieht ganz verändert aus, dachte Clara. Für den Augenblick hatte sie völlig die Ausstrahlung der selbstbewussten, eleganten, sorglosen Frau verloren, die sich hinter ihrem Reichtum, ihrer gesellschaftlichen Stellung und der Liebe ihres Mannes sicher fühlt. Sie sah plötzlich aus wie ein verängstigtes kleines Mädchen, das nachts von bösen Träumen geplagt wird und sich auch am Tag nicht wirklich davon erholt.
    »Ich fürchte mich auch«, sagte Clara leise, »und ich denke auch immer, dass er uns nicht in Ruhe lassen wird.«
    Maries Krähen klang lauter. Clara stand auf. »Ich muss nach ihr sehen.«
    Als sie mit Marie auf dem Arm wieder nach unten kam,
hatte sich Agneta gefangen, die Maske der vollkommenen Selbstsicherheit wieder aufgesetzt und sich eine Zigarette angezündet. Sie sah zu, wie Clara ihre Tochter auf den Rasen setzte, wo diese fröhlich quietschend Grashalme auszurupfen begann, in die Luft warf und auf sich niederregnen ließ.
    »Weißt du«, sagte sie, »wir haben uns beide ein wirklich schönes Leben aufgebaut. Du hast ein entzückendes Kind und einen netten Mann, und ich bin ebenfalls glücklich verheiratet und mache jeden Tag tausend Dinge, die ich angenehm und interessant und aufregend finde. Wir lassen uns das nicht kaputtmachen, nicht wahr?«
    »Nein«, sagte Clara, aber es klang eher, als wiederhole eine folgsame Schülerin einen Satz, den die Lehrerin ihr zu sagen aufgetragen hatte.
    »Ich werde«, sagte Agneta, »Kontakt aufnehmen mit ein paar anderen. Von damals. Vielleicht ergeben sich Schnittpunkte, die auf die Identität dieses Irren hinweisen. Und bis dahin sollten wir uns nicht allzu sehr die Laune verderben lassen, meinst du nicht auch?«
    »Ja«, sagte Clara.
    Agneta seufzte.
    »Weißt du, dein Kaffee ist wirklich in Ordnung«, meinte sie, »aber … ich könnte jetzt einen Schnaps brauchen. Du nicht auch?«
    »Ich auch«, stimmte Clara zu, und diesmal klang sie inbrünstig und nicht wie ein braves Mädchen. Sie ging ins Haus, um etwas zu holen, das geeignet war, wenigstens für ein paar Stunden die Schärfe der Wirklichkeit in ihrem und Agnetas Kopf ein wenig weichzuspülen.

    2
    »Ich werde mir ein Hotel suchen«, sagte Inga. Sie war unvermittelt auf der Veranda aufgetaucht, hob sich als dünner, dunkler Schatten gegen das Sonnenlicht ab. Sie wirkte

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