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Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast

Titel: Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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erschreckend mager.
    Kann man so schnell Gewicht verlieren, in so wenigen Tagen?, fragte sich Rebecca erstaunt. Doch dann fiel ihr ein, was die Menschen um sie herum gesagt hatten, in der ersten Woche nach Felix’ Tod.
    »Du bist ja wahnsinnig dünn geworden! Du isst wohl gar nichts mehr, oder?«
    Hatte sie gegessen? Sie wusste es nicht mehr. Aß Inga? Sie lebte seit drei Tagen bei ihr, aber Rebecca hätte kaum zu sagen gewusst, ob sie während der Mahlzeiten wirklich aß oder nur da saß und Brotstücke zwischen ihren Fingern zerkrümelte. So wie sie aussah, traf wohl eher Letzteres zu.
    Ich muss mich mehr um sie kümmern, dachte Rebecca schuldbewusst, aber sie wusste gleichzeitig, dass dieser Gedanke alles konterkarierte, was sie sich vorgenommen hatte: sich abzuschotten und sich von der Welt innerlich zu verabschieden, ehe sie den letzten Schritt tun und sie auch körperlich verlassen würde.
    Sie stellte ihre Kaffeetasse ab. »Kommen Sie, Inga, setzen Sie sich. Trinken Sie einen Kaffee mit mir!«
    Wie immer hatte sie zwei Gedecke aufgelegt. Zögernd ließ sich Inga in einem der weiß lackierten Korbstühle nieder. Rebecca schenkte ihr Kaffee ein, schob Zucker und Milch zu ihr hin. »Sie müssen nicht in ein Hotel gehen«, sagte sie und fand, dass das irgendwie pflichtschuldig klang. »Ich habe ja hier genug Platz.«
    Inga schob sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. An ihrer
Stirn klebte noch ein Pflaster, wo sie sich die Platzwunde zugezogen hatte. Der Arzt hatte eine leichte Gehirnerschütterung festgestellt und Ruhe verordnet. Dann würde sie schnell wieder hergestellt sein, hatte er gemeint. Der Zerrung an ihrer Schulter war er mit einer starken Schmerzspritze zu Leibe gerückt. Sie tat inzwischen kaum noch weh. Die Wunden an ihren Füßen waren verheilt.
    »Ihnen muss das doch alles ganz schrecklich vorkommen«, meinte Inga. »Ihr Bekannter liest zwei Tramper auf und schleppt sie an, und dann verunglücken die noch um ein Haar mit Ihrem Boot, einer verschwindet, und die andere haben Sie als Gast im Haus. Als einen Ihnen völlig fremden Gast.«
    »Sie kommen mir gar nicht so fremd vor, Inga. Marius schon eher. Wäre er jetzt hier eingezogen … ihn würde ich durchaus als einen sehr fremden Gast empfinden.«
    »Auf jeden Fall haben Sie sich Ihren Sommer so bestimmt nicht vorgestellt.«
    »Nein«, räumte Rebecca ein, » in der Tat nicht.«
    Ich wollte zu diesem Zeitpunkt bereits seit fast einer Woche tot sein, dachte sie.
    »Albert hat mich vorhin angerufen«, sagte sie, um das Thema zu wechseln, »und er sagt, dass die Küstenwache morgen leider zum letzten Mal nach Ihrem Mann suchen wird. Wenn sie dann nichts finden …« Sie ließ den Satz unbeendet.
    »… dann stellen sie die Suche ein«, sagte Inga stattdessen. »Damit habe ich natürlich gerechnet. Genau genommen … hätte ich nicht einmal gedacht, dass sie ganze vier Tage lang suchen.«
    Unter ihrer Sonnenbräune sah sie fahl aus. Ihre Lippen waren völlig blutleer.
    »Er war … ist ein erstklassiger Schwimmer. Und er hatte die Rettungsweste an.«

    »Sie müssen ja auch noch nicht das Schlimmste annehmen«, meinte Rebecca, »vielleicht hat ihn irgendjemand aufgefischt. «
    »Aber dann würde er sich doch melden.«
    »Nun … Sie haben mir ja erzählt, dass es auf der Libelle zu diesem seltsamen Verhalten seinerseits kam. Das wird es ihm schwer machen, jetzt so einfach den Kontakt zu Ihnen aufzunehmen und hier hereinzuspazieren, als sei nichts gewesen. «
    Inga nippte an ihrem Kaffee. Sie sah angestrengt aus und so unglücklich, dass es Rebecca ans Herz ging.
    »Ich kann es immer noch nicht verstehen«, sagte sie, »mir kommt diese Szene auf dem Schiff wie ein böser Traum vor. Völlig unwirklich. Marius, der auf einmal … ich dachte eine ganze Weile, er macht Witze. Wir haben das oft getan, wissen Sie. Total ernsthaft über völlig abwegige Sachen gesprochen. Wir konnten das stundenlang. Aber diesmal …«
    »Und wenn es doch ein Missverständnis war?«, fragte Rebecca. »Ein Scherz, den er noch weiterspann, als Sie bereits keine Lust mehr hatten? Sie waren nicht in der Stimmung, haben Sie erzählt, weil Sie Angst wegen des Wetters hatten. Er begriff vielleicht einfach nicht, dass Sie wirklich nicht mitmachen wollten. Oder wollte Sie zwingen, wieder einzusteigen. «
    Inga rieb sich die Stirn. »Tag und Nacht«, sagte sie, »gehe ich diese Szene in Gedanken durch. Sie glauben nicht, wie sehr ich mir wünsche, dass mir plötzlich eine Erleuchtung

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