Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
anders regeln sollen«, meinte sie. »Anstatt dir Kenzo zu bringen, sollten wir dich hierher holen. Dann hättest du zwei Wochen in einem Garten …«
»Das kommt nicht in Frage«, unterbrach ihre Mutter sofort, »bei euch ganz allein in dem großen Haus … Da langweile ich mich ja zu Tode! Besser, Kenzo kommt zu mir.«
»Klar. Es bleibt alles wie geplant.« Nur dass ich eigentlich gar nicht mehr verreisen will. Warum schicke ich nicht Wolf mit den Kindern allein in die Ferien? Vermissen würden sie mich bestimmt nicht.
»Und?«, fragte ihre Mutter. »Bist du wieder in Ordnung?«
»Was meinst du? War ich nicht in Ordnung?«
»Na ja, ich denke da an neulich nachts. Als du mich aus heiterem Himmel angerufen hast, weil du glaubtest, mir sei etwas passiert. Da hatte ich schon den Eindruck, dass du … dass deine Nerven ein wenig bloßliegen.«
»Ich habe nicht aus heiterem Himmel angerufen, Mama. Das habe ich dir doch erklärt. Ich hatte einen äußerst mysteriösen Anruf erhalten, und …« Noch während sie weitersprach, dachte Karen, wie sinnlos es war, diese Episode noch einmal zu erzählen. Sie warb um Verständnis und würde es doch mit absoluter Sicherheit nicht bekommen. Es interessierte Mama gar nicht, wie sich die Dinge verhielten. Sie hatte sich längst ihre Meinung gebildet und würde nicht davon abrücken.
»Nun, jedenfalls ist so weit alles in Ordnung«, sagte sie
abschließend und fragte sich, wie ihre Mutter wohl reagieren würde, wenn sie ihr jetzt sagte, dass ihre Ehe vermutlich am Ende war. Dass sie und Wolf nicht mehr miteinander zurechtkamen, und dass sie sich vorstellen konnte, dass es letztlich bei ihnen auf eine Trennung hinauslaufen würde.
Aber sie erwähnte nichts dergleichen, und nachdem sie noch über ein paar Nichtigkeiten geplaudert hatten, beendeten sie das Gespräch.
Karen ging in den Garten, der Abend nahte, die Hitze war nicht mehr ganz so unerträglich. Die Rosen jenseits des Zauns dauerten sie; sie ließen die Blätter hängen, und ihre Blüten waren verdorrt. Kurz entschlossen zog sie den Gartenschlauch heran und ließ einen erfrischenden Regen über die Dürstenden niedergehen. Egal, was Wolf sagte, sie konnte sich ja ein bisschen um das verwaiste Grundstück kümmern.
Sie dachte, wie schön es wäre, eine Freundin zu haben. An einem Tag wie diesem nicht allein zu sein, sondern mit einer anderen Frau auf der Terrasse zu sitzen, Tee zu trinken und zu späterer Stunde einen Prosecco, und über alles reden zu können. Auch über Eheprobleme. Das war vielleicht das wirklich Fatale an ihrer Situation: dass sie niemanden hatte, mit dem sie über ihren Kummer, ihre Sorgen sprechen konnte. Niemanden, der sie zwischendurch auf andere Gedanken brachte. Niemanden, mit dem es sich auch einmal aus tiefstem Herzen lachen ließ. Vielleicht war sie auch deshalb so unattraktiv für Wolf geworden. Weil sie so eigenbrötlerisch war, so in sich gefangen, so grüblerisch.
Ich lache zu wenig. Aber ich sehe auch nichts in meinem Leben, worüber ich lachen könnte.
Gegen sechs Uhr tauchten die Kinder auf, mit nassen, verstrubbelten Haaren, aufgedreht und fröhlich. Sie ließen ihre Badetaschen im Hauseingang fallen und stürmten zum Fernseher, wo es irgendeine Serie gab, von der sie begeistert waren.
»Wo ist denn euer Vater?«, fragte Karen, während sie die nassen Badeanzüge und Frotteetücher aus den Taschen klaubte, dabei auf ausgekaute Kaugummis und zerschmolzene Schokolade stieß und feststellte, dass ihre Tochter offenbar einen ihrer Badeschlappen verloren hatte.
Die Kinder wandten keinen Blick vom Bildschirm. »Papa hat uns nur abgesetzt. Er ist noch mal ins Büro gefahren. Wir sollen nicht mit dem Essen warten. Er kommt spät.«
Erst lange danach wurde Karen klar, dass dieser Augenblick einen Wendepunkt markierte. Sie begriff erst im Nachhinein, dass in dieser Minute, am Ende des langen, einsamen, trostlosen Sonntags, etwas in ihr starb: die Hoffnung, sie und Wolf könnten zueinander zurückfinden, sie könnten auf irgendeine geheimnisvolle Weise die letzten Jahre auslöschen und die Fäden ihres Lebens dort wieder aufnehmen, wo ihre Beziehung noch schön und heiter und liebevoll gewesen war. Irgendwo tief in ihr war noch ein Glaube lebendig gewesen, die Kälte und die Feindseligkeit in ihrer Ehe werde sich als eine vorübergegangene Krankheit entpuppen, an die man sich mit leisem Schaudern erinnert, eine Weile noch, deren Umrisse aber immer mehr verblassen, bis sie nur noch einen
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