Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
nicht mehr?«
»Mein Mann wird mit den Kindern fliegen«, sagte Karen, obwohl sie gar nicht wusste, ob Wolf das tatsächlich tun würde, »und ich werde hier bleiben.«
Kronborg hob fragend die Augenbrauen.
Karen erwiderte seinen Blick schweigend.
»Äh … hängt diese Veränderung in Ihren Absichten mit dem Verbrechen nebenan zusammen?«, fragte er schließlich.
»Nein«, sagte Karen, »das hat damit gar nichts zu tun.«
Er nickte wieder, und sie hatte das ungute Gefühl, dass er bereits eine Menge aus ihrem Leben und über sie wusste.
Er blätterte in seinem Notizbuch. »Dieser … wie heißt er? … Pit Becker – den kennen Sie noch nicht lange?«
»Nein. Ich habe ihn letzte Woche kennen gelernt. Er stand bei den Lenowskys vor dem Gartentor und fragte mich, ob ich wisse, wo sie sein könnten. Er sollte einen großen Auftrag bekommen, und deshalb war er außerordentlich daran interessiert, was mit ihnen los sein könnte.«
»Hm. Das erklärt vielleicht seinen … Einsatz. Es war schon ein bisschen ungewöhnlich, dass Sie beide einfach über den Balkon einstiegen und auf eigene Faust Nachforschungen anstellten, oder? Warum haben Sie nicht einfach die Polizei angerufen?«
Weil man nicht einfach die Polizei anruft, dachte Karen, weil man sich unter Umständen höchst lächerlich dabei macht.
Laut sagte sie: »Wir waren beide unsicher, ob wir nicht irgendwelchen Hirngespinsten hinterherjagen. Weder er noch ich kannten die Lenowskys näher, insofern hätten wir auch nicht klipp und klar sagen können, dass ihr Verhalten so ungewöhnlich war. Einfach zu verschwinden, niemandem etwas zu sagen, den Briefkasten überquellen und den Garten vertrocknen zu lassen … es schien uns untypisch für sie, weil sie auf uns beide eher den Eindruck gemacht hatten, sehr penibel zu sein, aber wir hätten es nicht beschwören können.«
Karen bemühte sich, ihm das komplizierte nachbarschaftliche Verhältnis klarzumachen. »Verstehen Sie, wir wohnen hier seit April, aber in der ganzen Zeit war ich nur einmal drüben bei ihnen und habe mich etwa zwanzig Minuten lang unterhalten. Ansonsten gab es nur ein Hallo oder Guten Tag über den Zaun hinweg. Und Pit Becker war mit Fred Lenowsky nur durch den Garten gegangen und hatte sich im Wesentlichen über die Frage unterhalten, wie man das Moos aus dem Rasen entfernen könnte. Er kannte ihn auch nicht wirklich persönlich. Zudem war unser Verdacht sehr vage. Ein ungutes Gefühl, ein paar schwer erklärbare Vorkommnisse – reicht das, einen Polizeieinsatz zu fordern?«
»Das ist sicher eine schwierige Entscheidung«, räumte Kronborg ein. Er seufzte. »Ein komplizierter Fall. Abgesehen von dem Fenster, durch das Sie und Herr Becker eingedrungen sind, gibt es keinerlei Einbruchsspuren. Sieht so aus, als hätten die Lenowskys ihren Mörder – oder ihre Mörder – selbst ins Haus gelassen.«
»Sie meinen, jemand hat einfach geklingelt und …«
»Zum Beispiel. Oder sogar einen Schlüssel gehabt.«
»Einen Schlüssel? Aber dann müsste es ja ein Verwandter gewesen sein oder ein enger Bekannter!«
»Nicht unbedingt. Einen Schlüssel gibt man ja unter Umständen auch dem Nachbarn oder …« Er hob beruhigend beide Hände, als er sah, dass Karen den Mund öffnete. »Sie hatten keinen, das wollte ich damit nicht unterstellen. Ich wollte nur sagen, dass es in solchen Fällen eine Reihe von Möglichkeiten gibt. Da wir gerade davon sprechen: Wissen Sie etwas über Verwandte der Lenowskys? Kinder vielleicht? Enkel?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe gehört, dass sie keine Kinder hatten. Und andere Verwandte … keine Ahnung. Wie gesagt, ich kannte sie ja praktisch nicht.«
»Aber Sie haben miteinander telefoniert«, sagte Kronborg.
Karen sah ihn perplex an. »Wir haben telefoniert? Frau oder Herr Lenowsky und ich?«
»Vielleicht war Ihr Mann am Apparat? Wir haben …«
Ihr fiel das kurze Gespräch mit Fred Lenowsky vor über einer Woche ein. Das war sozusagen sein letztes Lebenszeichen gewesen, und sie hatte sich später einige Male geärgert, dass sie damals nicht gleich wegen der Ferien gefragt hatte. Worum war es noch gegangen? Richtig, um das Auto.
»Ich habe mit Herrn Lenowsky gesprochen«, sagte sie, »unsere Garagen grenzen ja aneinander, und ich hatte meinen Wagen auf dem Vorplatz etwas ungeschickt geparkt. Er kam nicht raus und bat mich, das Auto anders zu stellen.« Sie erinnerte sich an die arrogante Art, mit der er diesen Wunsch geäußert hatte. Nicht direkt
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