Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
Trubel der Ereignisse dieses Tages für ihre Familie wohl zumindest die Tatsache unter, dass es ganz oben unter dem Dach ein Zimmer gab, das Karen von nun an allein gehören würde.
»Es war also vor ziemlich genau einer Woche, dass Sie zum ersten Mal dachten, dass nebenan etwas nicht stimmt?«, fragte Kommissar Kronborg. Er saß auf dem geblümten Sofa im Wohnzimmer, ein Zwei – Meter – Mann, der in der verspielten
Sitzgarnitur erschlagend wirkte. Alles an ihm war größer als bei anderen Menschen: seine Körperlänge sowieso, aber auch seine Hände, seine Füße, seine Nase. Dies verlieh ihm eine Ausstrahlung von Unbeholfenheit, als wisse er nie so recht, wohin mit sich, mit seinem Körper. Wie ein tapsiger Bär .
Sicher, dachte Karen, passiert es ihm ziemlich oft, dass er unterschätzt wird.
Sie selbst würde diesen Fehler nicht begehen. Ihr waren sofort seine wachen, intelligenten Augen aufgefallen, aber auch der Zug von Härte und Entschlossenheit um seinen Mund. Kronborg war ein Mann, der sehr genau wusste, was er wollte. Einfach so wurde man schließlich auch nicht Kommissar im Morddezernat.
Sie hatte ihn zuerst auf die Terrasse bitten wollen, aber er hatte gesagt, er wolle lieber im Haus mit ihr sprechen. Natürlich war ihm klar, dass an diesem Nachmittag die Nachbarsgärten voller Menschen waren, die alles daran setzten, jede noch so kleine Information aufzuschnappen, und das Hauptaugenmerk richtete sich dabei auf Karen und jeden, der mit ihr sprach.
»Ja«, erwiderte sie nun auf seine Frage, »vor einer Woche. Es ging um unsere Ferienreise …« Sie berichtete, wie sie mehrfach erfolglos bei den Lenowskys geklingelt hatte, wie irritiert sie gewesen war, dass niemand öffnete, obwohl sie zwischendurch Licht sah und auch die Rollläden offenbar hinaufgezogen und herabgelassen wurden.
»Die Lenowskys hätten verreist sein können«, sagte Kronborg, »und sie hätten jemanden beauftragt haben können, sich um das Haus zu kümmern.«
»Aber hätte dieser Jemand nicht geöffnet, als ich klingelte? «
»Es hätte sich auch um ein installiertes Sicherheitssystem
handeln können«, sagte Kronborg, anstatt ihre Frage zu beantworten. »Rollläden gehen automatisch hoch und runter, verschiedene Lichter gehen zu verschiedenen Zeiten an und aus, und das alles dient keinem anderen Zweck als dem, ein leer stehendes Haus bewohnt erscheinen zu lassen.«
»Aber müsste man dann nicht nach ein paar Tagen wenigstens ein System erkennen? Einen bestimmten, sich letztlich dann doch immer wiederholenden Rhythmus, in dem beispielsweise die Lichter brennen und erlöschen?« Karen runzelte die Stirn. »Aber warum …«
Kronborg wusste, was sie fragen wollte, und hob beschwichtigend die Hand. »Warum ich darauf beharre, nachdem ja nun klar ist, dass Ihr Verdacht völlig zu Recht bestand? Nun, es ist für meine Ermittlung wichtig, genau zu wissen, was in Ihnen diese … Beunruhigung ausgelöst hat. Darin können sich winzige Bausteine finden, die sich am Ende als bedeutsam erweisen, um den Täter zu finden. Beobachtungen, deren Hintergrund Sie gar nicht erkennen, den vielleicht auch ich jetzt noch nicht erkenne, der aber durchaus brisant sein kann.« Er rutschte auf dem Sofa hin und her und versuchte, für seine zu langen Beine unter dem Couchtisch eine neue Position zu finden. »Verstehen Sie, was ich meine?«
»Ja«, sagte Karen, »natürlich.«
»Meine Kollegen haben mit den Nachbarn auf der anderen Seite der Lenowskys gesprochen. Denen ist nicht das Geringste aufgefallen.«
Karen überlegte. »Es hing bei mir sicher damit zusammen, dass ich so dringend versuchte, Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Wir wohnen noch nicht lange hier, und sie waren die Einzigen, die ich wenigstens ein bisschen kannte – wobei kennen viel zu viel gesagt ist, aber ich hatte mich ihnen vorgestellt, und wir grüßten uns über den Zaun hinweg. Wir
wollten am übernächsten Freitag für zwei Wochen in die Türkei fliegen. Ich musste jemanden finden, der den Garten gießt und die Post aus dem Briefkasten nimmt. Ich habe förmlich darauf gelauert, einen von den Lenowskys im Garten zu sehen. Ich hatte das Haus ständig im Visier … vielleicht wäre mir sonst auch nichts aufgefallen.«
Er beobachtete sie sehr genau. »Es klingt, als hätten Sie ganz schön unter Stress gestanden wegen Ihrer Ferienreise.«
»Ja, das habe ich«, sagte Karen.
Er nickte. »Sie sagten gerade, Sie wollten in die Türkei fliegen? Heißt das, Sie wollen es jetzt
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