Der fremde Gast - Link, C: Der fremde Gast
ist!
»Die beiden sind wirklich ermordet worden …«, setzte Karen an, aber er unterbrach sie unwirsch: »Das habe ich kapiert. Selbst mir sind die Absperrungen und die Polizeiautos vor dem Nachbarhaus aufgefallen. Was ich wissen möchte, ist, weshalb meine Frau in ein fremdes Haus eingestiegen ist und dort zwei Leichen gefunden hat!«
Karen hätte gerne schnippisch erwidert: Nun, weil dort eben zwei Leichen herumlagen! Aber es war klar, dass er mit seiner Frage den Umstand meinte, dass sie eingestiegen war.
Es muss sich für ihn ja auch seltsam anhören, dachte sie.
»Der Gärtner …«
Wolf lockerte seine Krawatte. »Von welchem Gärtner redest du überhaupt dauernd?«
»Dem Gärtner der Lenowskys. Der machte sich nämlich auch Gedanken um die beiden. Genauso wie ich.«
»Abstrus!«
»Was?«
»Abstrus, solche Gedanken. Weil zwei Menschen mal nicht aufmachen. Wenn wir beide verreist wären, ohne jemandem Bescheid gesagt zu haben – möchtest du dann, dass wildfremde Leute in unser Haus eindringen und einfach nachsehen, was aus uns geworden ist?«
Karens Lippen begannen zu zittern. Lass dich nicht von ihm schon wieder aus dem Gleichgewicht bringen, redete sie sich gut zu.
»Die haben noch ein paar Tage gelebt, sagt der Kommissar. Hätte ich mich früher gekümmert …«
Es war Wolf endlich gelungen, seine Krawatte vom Hals zu zerren. Wie üblich warf er sie aufs Bett. »Darum geht es nicht. Gut, du hattest Recht mit deinen … schaurigen Geschichten. Aber das ist nicht der Punkt. Prinzipiell ist es nicht in Ordnung, in ein fremdes Haus einzudringen. Warum hast du nicht die Polizei angerufen, wenn du so überzeugt warst, dass etwas nicht stimmt?«
Es ist wie ein böser Traum, dachte sie. Hatte nicht gerade Wolf immer wieder erklärt, es sei völlig unmöglich, die Polizei wegen eines bloßen und noch dazu an den Haaren herbeigezogenen Verdachts anzurufen?
Aber etwas begriff sie in diesem Moment: In seinen Augen würde sie immer alles falsch machen. Ganz gleich, was sie tat, es war falsch, weil sie es tat. All ihre Bemühungen der letzten Jahre, die Frau zu sein, die er sich wünschte, waren von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. Er hatte ihr nie die geringste Chance eingeräumt. Irgendwann, irgendwo, aus irgendeinem Grund war ihm die Liebe zu ihr abhanden gekommen, und der Umstand, dass er glaubte, dennoch mit ihr zusammenbleiben zu müssen – der Kinder wegen vielleicht, oder weil er meinte, er sei es seiner Reputation schuldig
– , ließ ihn aggressiv, unzufrieden und chronisch gereizt sein. Er wollte sie nicht mehr. Er zeigte es ihr seit langem sehr deutlich, bloß hatte sie sich geweigert, ihn zu verstehen.
»Ach, Wolf«, sagte sie müde, »dagegen warst du doch auch. Du warst gegen alles. Du bist gegen alles. Aber ich frage mich, weshalb dich die Dinge, die ich tue, überhaupt noch aufregen. Du lebst dein Leben, und ich lebe meins.«
Wolf zog die Augenbrauen hoch. »Du bist immer noch meine Frau. Alles, was du tust, wirft unweigerlich einen Schatten auch auf mich.«
»Was wirft denn bei dieser Sache einen Schatten?«
»Verstehst du das nicht? Wir sind mit hineingezogen worden in dieses Verbrechen. Wir werden befragt, wir werden womöglich die Presse am Hals haben, unser Name wird in der Zeitung erscheinen … Und ich finde das alles einfach nur unangenehm. Abstoßend und unangenehm!« Er sah erschöpft aus.
Sie dachte, dass es ihm wirklich Probleme bereitete, und auf eine gewisse Weise verstand sie ihn auch. Sie hatte dafür gesorgt, dass sie und ihre Familie in eine unmittelbare Berührung mit dem schrecklichen Geschehen gerieten, und indem dies womöglich auch noch öffentlich wurde, würde es sich kaum mehr verdrängen lassen. Kein Mensch streifte gern das Grauen. Sie hatte eine Ahnung, dass der Mord im Nachbarhaus an ihnen allen kleben würde, für immer, und dass sie und Wolf und die Kinder, jeder für sich, ihn stets auf die eine oder andere Weise mit sich herumtragen würden. Sie, Karen, hatte dafür gesorgt, dass ihre Familie nicht die gleiche Distanz zu dem Geschehen gewinnen konnte wie die anderen Nachbarn. Wolf warf ihr das vor, und sie hätte ihm gern gesagt, dass sie verstand, was er meinte – wenn sie die geringste Hoffnung gehabt hätte, dass er auch ihre Empfindungen würde nachvollziehen können. Ihren Drang, handeln zu
müssen, ihre Überzeugung, dass ihr der bequeme Weg in diesem Fall von Anfang an nicht vergönnt gewesen war. Wäre nur ein Funken Liebe und
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