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Der Fremde (German Edition)

Der Fremde (German Edition)

Titel: Der Fremde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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in ein Lokal gegangen, und Raymond hat mir einen Cognac spendiert. Dann wollte er eine Partie Billard spielen, und ich habe knapp verloren. Danach wollte er ins Bordell gehen, aber ich habe nein gesagt, weil ich das nicht mag. Also sind wir nach Hause geschlendert, und er sagte mir, wie froh er wäre, dass es ihm gelungen war, seine Geliebte zu bestrafen. Ich fand ihn sehr nett mir gegenüber und habe gedacht, dass es angenehm mit ihm war.
    Von weitem habe ich auf der Türschwelle den alten Salamano gesehen, der aufgeregt wirkte. Als wir näher gekommen sind, habe ich gemerkt, dass sein Hund nicht bei ihm war. Er schaute nach allen Seiten, drehte sich um sich selbst, versuchte das Dunkel des Hausflurs zu durchdringen, murmelte zusammenhanglose Wörter und begann von neuem die Straße mit seinen kleinen roten Augen abzusuchen. Als Raymond ihn fragte, was er hätte, hat er nicht gleich geantwortet. Ich habe undeutlich gehört, dass er «Biest, Aas» murmelte, und er bewegte sich weiter aufgeregt herum. Ich habe ihn gefragt, wo sein Hund wäre. Er hat schroff geantwortet, er wäre weg. Und dann auf einmal sprudelte es aus ihm hervor: «Ich habe ihn zum Champ de Manœuvres mitgenommen, wie gewöhnlich. Es war viel Betrieb rings um die Jahrmarktsbuden. Ich bin stehen geblieben, um mir den ‹Entfesselungskönig› anzusehen. Und als ich weitergehen wollte, war er nicht mehr da. Natürlich, ich wollte ihm schon lange ein engeres Halsband kaufen. Aber ich hätte nie gedacht, dass dieses Aas einfach so weglaufen könnte.»
    Raymond hat ihm dann erklärt, dass der Hund sich verlaufen haben könnte und dass er zurückkommen würde. Er hat ihm Beispiele von Hunden genannt, die zig Kilometer gelaufen waren, um ihren Herrn wiederzufinden. Trotzdem hat der Alte noch aufgeregter gewirkt. «Aber sie werden ihn mir wegnehmen, verstehen Sie. Wenn ihn wenigstens jemand aufnehmen würde. Aber das ist ausgeschlossen, er ekelt alle an, mit seinem Schorf. Die Polizisten werden ihn mir wegnehmen, das ist sicher.» Ich habe ihm darauf gesagt, er sollte zum Pfandstall gehen, und gegen Zahlung einer Gebühr würde man ihn ihm zurückgeben. Er hat mich gefragt, ob diese Gebühr hoch wäre. Ich wusste es nicht. Da ist er in Wut geraten: «Auch noch Geld für dieses Aas hinlegen. Ha, soll er doch krepieren!» Und er hat angefangen, ihn zu beschimpfen. Raymond hat gelacht und ist ins Haus gegangen. Ich bin ihm gefolgt, und wir haben uns oben auf dem Treppenabsatz verabschiedet. Nach einer Weile habe ich den Schritt des Alten gehört, und er hat an meine Tür geklopft. Als ich aufgemacht habe, ist er einen Moment auf der Schwelle stehen geblieben und hat gesagt: «Verzeihen Sie, verzeihen Sie.» Ich habe ihn hereingebeten, aber er wollte nicht. Er blickte auf seine Schuhspitzen, und seine grindigen Hände zitterten. Ohne mich anzusehen, hat er gefragt: «Sie werden ihn mir doch nicht wegnehmen, oder, Monsieur Meursault? Sie werden ihn mir zurückgeben. Was soll sonst aus mir werden?» Ich habe ihm gesagt, der Pfandstall hielte die Hunde drei Tage für ihre Besitzer bereit, und dann würde er mit ihnen machen, was ihm beliebte. Er hat mich schweigend angesehen. Dann hat er «gute Nacht» gesagt. Er hat seine Tür zugemacht, und ich habe ihn hin und her gehen hören. Sein Bett hat gequietscht. Und an dem eigentümlichen leisen Geräusch, das durch die Zwischenwand drang, habe ich erkannt, dass er weinte. Ich weiß nicht, warum ich an Mama gedacht habe. Aber ich musste am nächsten Tag früh aufstehen. Ich hatte keinen Hunger und bin ohne Abendessen ins Bett gegangen.

V
    Raymond hat mich im Büro angerufen. Er hat mir gesagt, einer seiner Freunde (er hatte ihm von mir erzählt) lüde mich ein, den ganzen Sonntag in seinem Strandhaus in der Nähe von Algier zu verbringen. Ich habe geantwortet, das täte ich gern, aber ich hätte für den Tag einer Freundin zugesagt. Raymond hat mir sofort erklärt, dass er sie auch einlüde. Die Frau seines Freundes würde heilfroh sein, wenn sie nicht allein unter lauter Männern wäre.
    Ich wollte gleich auflegen, weil ich weiß, dass der Chef es nicht mag, wenn wir von auswärts angerufen werden. Aber Raymond hat mich gebeten zu warten und hat gesagt, er hätte diese Einladung auch am Abend an mich weitergeben können, er wolle mir aber noch etwas anderes mitteilen. Er wäre den ganzen Tag von einer Gruppe von Arabern verfolgt worden, unter denen sich der Bruder seiner ehemaligen Geliebten befand. «Wenn du heute

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