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Der Fremde (German Edition)

Der Fremde (German Edition)

Titel: Der Fremde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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Abend nach Hause kommst und ihn in der Nähe siehst, sag mir Bescheid.» Ich habe gesagt, das ginge in Ordnung.
    Kurz darauf hat der Chef mich rufen lassen, und ich war erst einmal verärgert, weil ich gedacht habe, er würde mir sagen, ich sollte weniger telefonieren und besser arbeiten. Das war es aber gar nicht. Er hat mir erklärt, er wollte mit mir über ein noch sehr vages Projekt sprechen. Er wollte nur meine Meinung dazu wissen. Er hätte die Absicht, in Paris ein Büro zu eröffnen, das seine Geschäfte mit den großen Firmen an Ort und Stelle und direkt führen sollte, und er wollte wissen, ob ich bereit wäre hinzugehen. Das würde es mir ermöglichen, in Paris zu leben und auch einen Teil des Jahres zu reisen. «Sie sind jung, und mir scheint, es ist ein Leben, das Ihnen gefallen muss.» Ich habe ja gesagt, dass es mir im Grunde aber egal wäre. Da hat er mich gefragt, ob mich eine Änderung in meinem Leben nicht reizen würde. Ich habe geantwortet, dass man sein Leben nie änderte, dass eins so gut wie das andere wäre und dass mein Leben hier mir keineswegs missfiele. Er hat ein unzufriedenes Gesicht gemacht, hat gesagt, ich würde immer ausweichend antworten, ich hätte keinen Ehrgeiz, und das wäre im Geschäftsleben katastrophal. Ich bin dann wieder an meine Arbeit gegangen. Es wäre mir lieber gewesen, ihm keinen Anlass zur Unzufriedenheit zu geben, aber ich sah keinen Grund, mein Leben zu ändern. Wenn ich recht darüber nachdachte, war ich nicht unglücklich. Als ich studierte, hatte ich viele derartige Ambitionen. Aber als ich mein Studium aufgeben musste, ist mir sehr schnell klar geworden, dass das alles ohne wirklichen Belang ist.
    Abends hat Marie mich abgeholt und hat mich gefragt, ob ich sie heiraten wollte. Ich habe gesagt, das wäre mir egal, und wir könnten es tun, wenn sie es wollte. Sie hat dann wissen wollen, ob ich sie liebte. Ich habe geantwortet wie schon einmal, dass das nichts heißen wollte, dass ich sie aber zweifellos nicht liebte. «Warum willst du mich dann heiraten?», hat sie gesagt. Ich habe ihr erklärt, dass das völlig belanglos wäre und dass wir, wenn sie es wünschte, heiraten könnten. Im Übrigen wäre sie es, die fragte, und ich würde lediglich ja sagen. Sie hat dann zu bedenken gegeben, dass die Ehe eine ernste Sache wäre. Ich habe «nein» geantwortet. Sie hat eine Weile geschwiegen und mich stumm angesehen. Dann hat sie geredet. Sie wollte nur wissen, ob ich den gleichen Vorschlag auch von einer anderen Frau angenommen hätte, mit der ich auf die gleiche Weise verbunden wäre. Ich habe «natürlich» gesagt. Da hat sie sich gefragt, ob sie mich liebte, und ich konnte dazu nichts sagen. Nach einem weiteren Moment des Schweigens hat sie gemurmelt, dass ich seltsam wäre, dass sie mich wahrscheinlich deswegen liebte, dass ich ihr aber vielleicht eines Tages aus ebendiesen Gründen zuwider sein würde. Da ich schwieg, weil ich nichts hinzuzufügen hatte, nahm sie mich lächelnd beim Arm und erklärte, sie wollte mich heiraten. Ich habe geantwortet, wir täten es, sobald sie wollte. Ich habe ihr dann vom Vorschlag des Chefs erzählt, und Marie hat gesagt, sie würde Paris gern kennenlernen. Sie erfuhr von mir, dass ich früher einmal dort gelebt hatte, und sie hat mich gefragt, wie es wäre. Ich habe gesagt: «Es ist schmutzig. Es gibt Tauben und finstere Höfe. Die Leute sind ganz blass.»
    Dann sind wir auf den Hauptstraßen quer durch die Stadt gegangen. Die Frauen waren schön, und ich habe Marie gefragt, ob es ihr auffiele. Sie hat ja gesagt und dass sie mich verstände. Eine Zeit lang haben wir nicht mehr gesprochen. Ich wollte jedoch, dass sie bei mir blieb, und habe ihr gesagt, wir könnten zusammen bei Céleste zu Abend essen. Sie hatte große Lust dazu, aber sie hatte zu tun. Wir waren in der Nähe meiner Wohnung, und ich habe ihr auf Wiedersehen gesagt. Sie hat mich angesehen: «Willst du nicht wissen, was ich zu tun habe?» Ich wollte es gern wissen, aber ich hatte nicht daran gedacht, und ebendas schien sie mir vorzuwerfen. Bei meinem betretenen Gesicht hat sie dann wieder gelacht und hat sich mir mit dem ganzen Körper zugewandt, um mir ihren Mund anzubieten.
    Ich habe bei Céleste zu Abend gegessen. Ich hatte schon angefangen, als eine seltsame kleine Frau hereinkam, die mich gefragt hat, ob sie sich an meinen Tisch setzen dürfte. Natürlich durfte sie das. Sie hatte ruckartige Bewegungen und glänzende Augen in einem kleinen Apfelgesicht. Sie

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